Lineare zeitinvariante Systeme/Eigenschaften von Kupfer–Doppeladern: Unterschied zwischen den Versionen
Zeile 212: | Zeile 212: | ||
Ohne die Korrektur $b_2' = a_2 ·$ rad/Np wäre die [[Lineare_zeitinvariante_Systeme/Folgerungen_aus_dem_Zuordnungssatz#Hilbert.E2.80.93Transformation|Hilbert–Transformation]] (Zusammenhang zwischen Betrag und Phase bei realen ⇒ minimalphasigen Systemen) nicht erfüllt. Deshalb ergäbe sich eine akausale Impulsantwort. Wir glauben deshalb (ohne es zu wissen), dass auch bei einer Zweidrahtleitung die beiden Parameter $a_2$ und $b_2$ gleiche Zahlenwerte haben müssten. Wir betrachten nun zwei Fälle. | Ohne die Korrektur $b_2' = a_2 ·$ rad/Np wäre die [[Lineare_zeitinvariante_Systeme/Folgerungen_aus_dem_Zuordnungssatz#Hilbert.E2.80.93Transformation|Hilbert–Transformation]] (Zusammenhang zwischen Betrag und Phase bei realen ⇒ minimalphasigen Systemen) nicht erfüllt. Deshalb ergäbe sich eine akausale Impulsantwort. Wir glauben deshalb (ohne es zu wissen), dass auch bei einer Zweidrahtleitung die beiden Parameter $a_2$ und $b_2$ gleiche Zahlenwerte haben müssten. Wir betrachten nun zwei Fälle. | ||
*Für das obere Diagramm haben wir weiterhin den in [PW95]<ref name="PW95"/> angegebenen $a_2–$Koeffizienten übernommen und den genannten Koeffizienten $b_2 = 8.26 \ \rm rad$ auf $b_2' = 6.18 \ \rm rad$ herabgesetzt. | *Für das obere Diagramm haben wir weiterhin den in [PW95]<ref name="PW95"/> angegebenen $a_2–$Koeffizienten übernommen und den genannten Koeffizienten $b_2 = 8.26 \ \rm rad$ auf $b_2' = 6.18 \ \rm rad$ herabgesetzt. | ||
− | *Dagegen wurde für das untere Grafik der Phasenkoeffizient $b_2 = 8.26 \ \rm rad$ beibehalten und stattdessen der Dämpfungskoeffizient $a_2 = 6.18 \ \ | + | *Dagegen wurde für das untere Grafik der Phasenkoeffizient $b_2 = 8.26 \ \rm rad$ beibehalten und stattdessen der Dämpfungskoeffizient $a_2 = 6.18 \ \rm Np$ an den Phasenkoeffizienten angepasst (also vergrößert): $a_2' = 8.26 \ \rm Np$. |
*Die rot eingezeichnete Impulsantwort im unteren Diagramm ⇒ ''Worst Case'' ist weniger als halb so hoch und deutlich breiter als die obere (rote) Impulsantwort ⇒ ''Best Case.'' Die tatsächliche (normierte) Impulsantwort $T \cdot h_{\rm K}'(t)$ wird wohl dazwischen liegen. Genauere Aussagen erlauben wir uns nicht. | *Die rot eingezeichnete Impulsantwort im unteren Diagramm ⇒ ''Worst Case'' ist weniger als halb so hoch und deutlich breiter als die obere (rote) Impulsantwort ⇒ ''Best Case.'' Die tatsächliche (normierte) Impulsantwort $T \cdot h_{\rm K}'(t)$ wird wohl dazwischen liegen. Genauere Aussagen erlauben wir uns nicht. | ||
Zeile 218: | Zeile 218: | ||
Bei Übertragungssystemen über Zweidrahtleitungen kann vom gleichen [[Lineare_zeitinvariante_Systeme/Koaxialkabel#Einige_Bemerkungen_zu_Koaxialkabelsystemen|Blockschaltbild]] wie bei den Koaxialkabelsystemen ausgegangen werden, wobei nun | Bei Übertragungssystemen über Zweidrahtleitungen kann vom gleichen [[Lineare_zeitinvariante_Systeme/Koaxialkabel#Einige_Bemerkungen_zu_Koaxialkabelsystemen|Blockschaltbild]] wie bei den Koaxialkabelsystemen ausgegangen werden, wobei nun | ||
*für den Frequenzgang $H_{\rm K}(f)$ und die Impulsantwort $h_{\rm K}(t)$ die in diesem Abschnitt angegebenen Gleichungen zu verwenden sind, | *für den Frequenzgang $H_{\rm K}(f)$ und die Impulsantwort $h_{\rm K}(t)$ die in diesem Abschnitt angegebenen Gleichungen zu verwenden sind, | ||
− | *das weiße Rauschen $N_0$ | + | *das weiße Rauschen $N_0$ nicht mehr die dominante Störungsursache ist, sondern nun '''Nebensprechen''' ''(Crosstalk)'' aufgrund von kapazitiver bzw. induktiver Kopplung benachbarter Doppeladern als stochastische Störung überwiegt. |
− | Durch Verdrillen der Doppeladern eines Sternvierers sowie der Grund– und Hauptbündel wird versucht, im Mittel eine möglichst symmetrische gegenseitige Kopplung zwischen allen Aderpaaren zu erreichen. Aufgrund unvermeidbarer Fertigungstoleranzen bleibt aber immer eine leichte Unsymmetrie bestehen. | + | Durch Verdrillen der Doppeladern eines Sternvierers sowie der Grund– und Hauptbündel entsprechend der Grafik am Ende des Kapitels [[Lineare_zeitinvariante_Systeme/Eigenschaften_von_Kupfer–Doppeladern#Zugangsnetz_eines_Telekommunikationssystems|Zugangsnetz eines Telekommunikationssystems]] wird versucht, im Mittel eine möglichst symmetrische gegenseitige Kopplung zwischen allen Aderpaaren zu erreichen. Aufgrund unvermeidbarer Fertigungstoleranzen bleibt aber immer eine leichte Unsymmetrie bestehen. Diese bewirkt, dass |
− | + | *an jeden Empfängereingang neben dem eigenen Nutzsignal auch (meist allerdings nur geringe) Signalanteile von benachbarten Doppeladern gelangen, | |
− | Diese bewirkt, dass | ||
− | *an jeden Empfängereingang neben dem eigenen Nutzsignal auch (meist allerdings nur geringe) | ||
*die induzierten Signalanteile für das Nutzsignal eine zusätzliche stochastische Störung darstellen, die zusammen mit dem thermischen Rauschen das resultierende Störsignal $n(t)$ ergeben, | *die induzierten Signalanteile für das Nutzsignal eine zusätzliche stochastische Störung darstellen, die zusammen mit dem thermischen Rauschen das resultierende Störsignal $n(t)$ ergeben, | ||
*man die Übertragungsqualität nicht oder nur sehr begrenzt durch Erhöhung der Sendeleistung verbessern kann, da durch diese Maßnahme auch die Nebensprechstörungen zunehmen. | *man die Übertragungsqualität nicht oder nur sehr begrenzt durch Erhöhung der Sendeleistung verbessern kann, da durch diese Maßnahme auch die Nebensprechstörungen zunehmen. | ||
− | [[Datei:P_ID1808__LZI_T_4_3_S6_neu.png | Zur Verdeutlichung von Nahnebensprechen (NEXT) und Fernnebensprechen (FEXT)]] | + | [[Datei:P_ID1808__LZI_T_4_3_S6_neu.png | center|Zur Verdeutlichung von Nahnebensprechen (NEXT) und Fernnebensprechen (FEXT)]] |
Wie die Grafik verdeutlicht, unterscheidet man zwischen | Wie die Grafik verdeutlicht, unterscheidet man zwischen | ||
− | *Nahnebensprechen ''(Near–End–Crosstalk'' ⇒ NEXT): Der störende Sender speist sein Signal am selben Ende des Kabels ein, an dem der betrachtete Empfänger platziert ist. | + | *'''Nahnebensprechen''' ''(Near–End–Crosstalk'' ⇒ NEXT): Der störende Sender speist sein Signal am selben Ende des Kabels ein, an dem der betrachtete Empfänger platziert ist. |
− | *Fernnebensprechen ''(Far–End–Crosstalk'' ⇒ FEXT): Der störende Sender und der gestörte Empfänger befinden sich an entgegengesetzten Kabelenden. | + | *'''Fernnebensprechen''' ''(Far–End–Crosstalk'' ⇒ FEXT): Der störende Sender und der gestörte Empfänger befinden sich an entgegengesetzten Kabelenden. |
− | + | Bei FEXT akkumuliert sich zwar die Störung über die gesamte Kabellänge, wird aber auch durch die Kabeldämpfung stark abgeschwächt. Für gebündelte Kabel im Teilnehmeranschlussbereich ergeben sich somit durch das „Imvierer–Nahnebensprechen” um Größenordnungen größerere Störungen als durch das Fernnebensprechen, und auch die Nahnebensprechstörungen von benachbarten Adern können meist vernachlässigt werden. | |
− | Bei FEXT akkumuliert sich zwar die Störung über die gesamte Kabellänge, wird aber auch durch die Kabeldämpfung stark abgeschwächt. Für gebündelte Kabel im Teilnehmeranschlussbereich ergeben sich somit durch das Imvierer–Nahnebensprechen um Größenordnungen größerere Störungen als durch das Fernnebensprechen, und auch die Nahnebensprechstörungen von benachbarten Adern können meist vernachlässigt werden. | ||
Wir betrachten weiterhin ausschließlich das Nahnebensprechen (NEXT). Bei diesem lässt sich das [[Stochastische_Signaltheorie/Leistungsdichtespektrum_(LDS)#Theorem_von_Wiener-Chintchine|Leistungsdichtespektrum]] (LDS) des Störsignals $n(t)$ unter Berücksichtigung des unvermeidbaren thermischen Rauschens $(N_0/2)$ wie folgt darstellen: | Wir betrachten weiterhin ausschließlich das Nahnebensprechen (NEXT). Bei diesem lässt sich das [[Stochastische_Signaltheorie/Leistungsdichtespektrum_(LDS)#Theorem_von_Wiener-Chintchine|Leistungsdichtespektrum]] (LDS) des Störsignals $n(t)$ unter Berücksichtigung des unvermeidbaren thermischen Rauschens $(N_0/2)$ wie folgt darstellen: | ||
− | $${\it \Phi}_n(f) = \frac{N_0}{2}+{\it \Phi}_{\rm NEXT}(f) \hspace{0.05cm}, | + | $${\it \Phi}_n(f) = \frac{N_0}{2}+{\it \Phi}_{\rm NEXT}(f) \hspace{0.05cm},\hspace{0.3cm}{\rm mit} \hspace{0.3cm}{\it \Phi}_{\rm NEXT}(f) = {\it \Phi}_{s}(f) \cdot |H_{\rm NEXT}(f)|^2 \approx {\it \Phi}_{s}(f)} \cdot [K_{\rm NEXT} \cdot f]^{3/2}\hspace{0.05cm}.$$ |
− | |||
Zu dieser Gleichung ist anzumerken: | Zu dieser Gleichung ist anzumerken: | ||
*Die Gleichung ergibt sich durch Integration der lokalen Kopplungen über die gesamte Länge eines kurzen Abschnitts, wobei die Kopplungen zwischen allen Kupferleitungen durch Querkapazitäten und –Induktivitäten modelliert werden. | *Die Gleichung ergibt sich durch Integration der lokalen Kopplungen über die gesamte Länge eines kurzen Abschnitts, wobei die Kopplungen zwischen allen Kupferleitungen durch Querkapazitäten und –Induktivitäten modelliert werden. | ||
− | * $ | + | * ${\it \Phi}_s(f)$ ist das LDS des störenden Senders, woraus sich durch Integration die Sendeleistung $P_{\rm S}$ ergibt. Nimmt man an, dass die gestörte Übertragung das gleiche Sendesignal und damit auch das gleiche LDS ${\it \Phi}_s(f)$ wie der Störer verwendet, so wird deutlich, dass durch eine Erhöhung von $P_{\rm S}$ lediglich der (relative) Einfluss des thermischen Rauschens $(N_0/2)$ vermindert wird. |
*Der das Nahnebensprechen quantifizierende Faktor $K_{\rm NEXT}$ hängt stark vom Adernabstand ab, ebenso vom Unsymmetriegrad entlang des Kabels. Dagegen ist dieser Faktor $K_{\rm NEXT}$ nahezu unabhängig vom Leiterdurchmesser $d$ und von der Leitungslänge $l$. | *Der das Nahnebensprechen quantifizierende Faktor $K_{\rm NEXT}$ hängt stark vom Adernabstand ab, ebenso vom Unsymmetriegrad entlang des Kabels. Dagegen ist dieser Faktor $K_{\rm NEXT}$ nahezu unabhängig vom Leiterdurchmesser $d$ und von der Leitungslänge $l$. | ||
− | *Das Produkt $K_{\rm NEXT} · f$ (dimensionslos) ist im gesamten Betriebsbereich der Leitung, zum Beispiel für alle Frequenzen $0 ≤ f ≤ | + | *Das Produkt $K_{\rm NEXT} · f$ (dimensionslos) ist im gesamten Betriebsbereich der Leitung, zum Beispiel für alle Frequenzen $0 ≤ f ≤ 30 \ \rm MHz$, stets sehr viel kleiner als $1$. Die Nebensprechstörung steigt mit der Frequenz stark (das heißt mit dem Exponenten $1.5$) an. |
− | *In [PW95]<ref name="PW95"/> werden nach einer Messreihe über 40 Doppeladern für die Frequenz $f = | + | *In [PW95]<ref name="PW95"/> werden nach einer Messreihe über 40 Doppeladern für die Frequenz $f = 10 \ \rm MHz$ folgende Werte genannt (für $f = 30 \ \rm MHz$ sind diese Werte noch mit $3^{3/2} ≈ 5.2$ zu multiplizieren): |
− | :'''1.''' ungünstigster Fall: $|H_{\rm NEXT}(f = 10 MHz)|^2 ≈ | + | :'''1.''' ungünstigster Fall: $|H_{\rm NEXT}(f = 10 MHz)|^2 ≈ 0.001$, |
− | + | :'''2.''' Mittelung über 40 Adern: $|H_{\rm NEXT}(f = 10 MHz)|^2 ≈ 0.0004$. | |
− | :'''2.''' Mittelung über 40 Adern: $|H_{\rm NEXT}(f = 10 MHz)|^2 ≈ | ||
*Die Werte gelten für das Imvierer–Nahnebensprechen (störender Sender und gestörter Empfänger im gleichen Sternvierer). Nahnebensprechstörungen zwischen weiter entfernten Adern weisen zwar die gleiche Frequenzabhängigkeit auf, sind aber kleiner als das Imvierer–Nahnebensprechen: | *Die Werte gelten für das Imvierer–Nahnebensprechen (störender Sender und gestörter Empfänger im gleichen Sternvierer). Nahnebensprechstörungen zwischen weiter entfernten Adern weisen zwar die gleiche Frequenzabhängigkeit auf, sind aber kleiner als das Imvierer–Nahnebensprechen: | ||
− | :'''1.''' Nahnebensprechen zwischen benachbarten Sternvierern um ca. 5 dB, | + | :'''1.''' Nahnebensprechen zwischen benachbarten Sternvierern um ca. $5 \ \rm dB$, |
− | + | :'''2.''' Nahnebensprechen zwischen benachbarten Grundbündeln um ca. $10 \ \rm dB$, | |
− | :'''2.''' Nahnebensprechen zwischen benachbarten Grundbündeln um ca. 10 dB, | + | :'''3.''' Nahnebensprechen zwischen nicht benachbarten Grundbündeln um ca. $25 \ \rm dB$. |
− | |||
− | :'''3.''' Nahnebensprechen zwischen nicht benachbarten Grundbündeln um ca. 25 dB. | ||
Version vom 16. Februar 2017, 14:32 Uhr
Inhaltsverzeichnis
- 1 Zugangsnetz eines Telekommunikationssystems
- 2 Dämpfungsmaß von Zweidrahtleitungen
- 3 Umrechnung zwischen k– und α– Parametern
- 4 Impulsantworten von Zweidrahtleitungen
- 5 Interpretation und Manipulation dieser Impulsantworten
- 6 Diskussion der gefundenen Näherungslösung
- 7 Störungen auf Zweidrahtleitungen
- 8 Quellenverzeichnis
Zugangsnetz eines Telekommunikationssystems
Bei einem Telekommunikationssystem unterscheidet man zwischen
- dem Fern– und Regionalnetz sowie
- dem Teilnehmeranschlussbereich,
die durch die Ortsvermittlungsstelle voneinander getrennt sind. Die Grafik zeigt die Netzinfrastruktur bei ISDN (Integrated Services Digital Network).
Ursprünglich basierte das gesamte Fernsprechnetz auf Kupferleitungen. Mitte der 1980–Jahre wurden aber im Weitverkehr die (vorwiegend koaxialen) Kupferkabel durch Glasfaser ersetzt, da der stetig wachsende Bandbreitebedarf nur mit optischer Übertragungstechnik befriedigt werden konnte.
Aufgrund der immens hohen Verlegekosten sind Glasfasern im Teilnehmeranschlußbereich bis heute (2009) nicht wirtschaftlich, allerdings gibt es schon lange Planungen zu Fiber–to–the–Building (FttB) bzw. Fiber–to–the–Home (FttH). Vielmehr ist man in den letzten 20 Jahren den Weg gegangen, durch die Entwicklung und die Verbesserung hochratiger Übertragungssysteme wie DSL (Digital Subscriber Line) über das konventionelle, auf Kupferleitungen basierende Zugangsnetz ausreichend Kapazität bereitzustellen.
In Deutschland ist diese so genannte „Last Mile” im Landesdurchschnitt kürzer als 4 Kilometer, in städtischen Gebieten zu 90% sogar kürzer als 2.8 Kilometer. Der Teilnehmeranschlußbereich setzt sich meist wie folgt zusammen:
- das Hauptkabel mit bis zu 2000 Doppeladern als Verbindung zwischen Ortsvermittlungsstelle und dem Kabelverzweiger,
- das Verzweigungskabel zwischen Kabel– und Endverzweiger, mit bis zu 300 Doppeladern und deutlich kürzer als ein Hauptkabel (maximal 500 m),
- das Hausanschlußkabel zwischen Endverzweiger und der Netzabschlußdose beim Teilnehmer mit zwei Doppeladern.
Zur Verminderung des Nebensprechens auf benachbarte Leitungspaare durch induktive und kapazitive Kopplungen und zur Erhöhung der Packungsdichte werden jeweils zwei Doppeladern zu einem so genannten Sternvierer verseilt. Die untere Grafik zeigt einen solchen Sternvierer und ein Bündelkabel. Hier werden je fünf solcher Vierer zu einem Grundbündel und je 5 Grundbündel zu einem Hauptbündel zusammengefasst. Dieses beinhaltet somit 50 Doppeladern mit PE–Isolierung (PE: Polyethylen).
Dämpfungsmaß von Zweidrahtleitungen
Das Dämpfungsmaß $α(f)$ und der Wellenwiderstand $Z_{\rm W}(f)$ von Doppeladern in realen verlegten Kabeln weichen mehr oder weniger stark von der in Einige Ergebnisse derLeitungstheorie dargelegten Theorie ab. Gründe hierfür sind:
- Nichtberücksichtigung komplexer Vorgänge der Wirbelstrombildung und der Stromverdrängung, und
- Inhomogenitäten im Kabelaufbau bei gespleißten Kabelabschnitten.
Verschiedene Netzbetreiber haben $α(f)$ und $Z_{\rm W}(f)$ gemessen und daraus empirische Gleichungen abgeleitet. Wir beziehen uns hier auf die in [PW95][1] dokumentierten Arbeiten von M. Pollakowski und H.W. Wellhausen vom Fernmeldetechnischen Zentralamt der Deutschen Bundespost in Darmstadt. Diese ermittelten für unterschiedliche Leitungsdurchmesser $d$ unter anderem das empirische Dämpfungsmaß aus 40 Messungen im Frequenzbereich bis 30 MHz entsprechend der Gleichung
$$\alpha (f) = k_1 + k_2 \cdot (f/{\rm MHz})^{k_3} \hspace{0.05cm}.$$
Die Grafik zeigt die Messergebnisse:
- $d =$ 0.35 mm: $k_1 =$ 7.9 dB/km, $k_2 =$ 15.1 dB/km, $k_3 =$ 0.62,
- $d =$ 0.40 mm: $k_1 =$ 5.1 dB/km, $k_2 =$ 14.3 dB/km, $k_3 =$ 0.59,
- $d =$ 0.50 mm: $k_1 =$ 4.4 dB/km, $k_2 =$ 10.8 dB/km, $k_3 =$ 0.60,
- $d =$ 0.60 mm: $k_1 =$ 3.8 dB/km, $k_2 =$ 9.2 dB/km, $k_3 =$ 0.61.
Man erkennt aus dieser Darstellung:
- Das Dämpfungsmaß $α(f)$ sowie die Dämpfungsfunktion $a_{\rm K}(f) = α(f) · l$ hängt signifikant vom Leitungsdurchmesser ab. Die seit 1994 verlegten Kabel mit Leitungsdurchmessern von 0.35 mm und 0.5 mm haben etwa ein um 10% größeres Dämpfungsmaß als die älteren Leitungen 0.4 mm und 0.6 mm.
- Dieser mit den Herstellungs– und Verlegungskosten begründete kleinere Leitungsdurchmesser $d$ vermindert allerdings die Reichweite der auf diesen Leitungen eingesetzten Übertragungssysteme signifikant, so dass im schlimmsten Fall teuere Zwischengeneratoren eingesetzt werden müssen, um die Kunden mit hochratigen Diensten versorgen zu können.
- Die heute üblichen Übertragungsverfahren für Kupferleitungen belegen allerdings nur ein relativ schmales Frequenzband, zum Beispiel sind dies bei ISDN 120 kHz und bei DSL ca. 1100 kHz. Für $f = 1 \ \rm MHz$ beträgt das Dämpfungsmaß für ein 0.4 mm–Kabel etwa $20 \ \rm dB/km$, so dass selbst bei einer Kabellänge von $4 \ \rm km$ der Dämpfungswert nicht über $80 \ \rm dB$ liegt.
- Eine Ausnahme bildet VDSL, das zum Beispiel die Deutsche Telekom in allen größeren Städten anbietet. Hier geht der Frequenzbereich bis $30 \ \rm MHz$. Deshalb wurden hierfür Glasfaserverbindungen bis zum Kabelverzweiger verlegt, um die noch mit Kupfer zu überbrückende Länge klein zu halten. Man spricht dann von Fibre–to–the–Cabinet (FttC).
Umrechnung zwischen k– und α– Parametern
Zur Berechnung des Frequenzgangs $H_{\rm K}(f)$ sollte man stets vom gemessenen Dämpfungsmaß $$\alpha (f) = k_1 + k_2 \cdot (f/f_0)^{k_3}= \alpha_{\rm I} (f) \hspace{0.05cm}, \hspace{0.2cm}{\rm mit} \hspace{0.15cm} f_0 = 1\,{\rm MHz}$$ ausgehen. Will man dagegen die dazugehörige Zeitfunktion in Form der Impulsantwort $h_{\rm K}(t)$ ermitteln, so ist es günstiger (siehe übernächster Abschnitt), wenn das Dämpfungsmaß in der Form $$\alpha(f) = \alpha_0 + \alpha_1 \cdot f + \alpha_2 \cdot \sqrt {f}= \alpha_{\rm II} (f)$$ dargestellt werden kann, wie es auch für die Koaxialkabel üblich ist.
Als Kriterium dieser Umrechnung gehen wir davon aus, dass die quadratische Abweichung dieser beiden Funktionen im Bereich von $f = 0$ bis $f = B$ minimal ist: $$\int_{0}^{B} \left [ \alpha_{\rm I} (f) - \alpha_{\rm II} (f)\right ]^2 \hspace{0.1cm}{\rm d}f \hspace{0.3cm}\Rightarrow \hspace{0.3cm}{\rm Minimum} \hspace{0.05cm} .$$ Es ist offensichtlich, dass $α_0 = k_1$ gelten wird. Die Parameter $α_1$ und $α_2$ sind von der zugrunde gelegten Bandbreite $B$ abhängig. Sie lauten entsprechend der Aufgabe 4.6: $$\begin{align*}\alpha_1 & = 15 \cdot (B/f_0)^{k_3 -1}\cdot \frac{k_3 -0.5}{(k_3 + 1.5)(k_3 + 2)}\cdot \frac {k_2}{ {f_0} }\hspace{0.05cm} ,\\ \alpha_2 & = 10 \cdot (B/f_0)^{k_3 -0.5}\cdot \frac{1-k_3}{(k_3 + 1.5)(k_3 + 2)}\cdot \frac {k_2}{\sqrt{f_0} }\hspace{0.05cm} .\end{align*}$$ Für $k_3 = 1$ (frequenzproportionales Dämpfungsmaß) ergeben sich folgerichtig $$\alpha_1 = {k_2}/{ {f_0} }\hspace{0.05cm} ,\hspace{0.2cm} \alpha_2 = 0\hspace{0.05cm} ,$$ während man für $k_3 = 0.5$ die folgenden Koeffizienten erhält: $$\alpha_1 = 0\hspace{0.05cm} ,\hspace{0.2cm} \alpha_2 = {k_2}/{\sqrt{f_0}}\hspace{0.05cm}.$$
In diesem Fall würde das Dämpfungsmaß $α(f)$ mit der Wurzel aus der Frequenz ansteigen. Es ergäbe sich also der gleiche Verlauf wie bei einem Koaxialkabel entsprechend dem Skineffekt.
Nachfolgend wird an drei Beispielen verdeutlicht, wie die zugrundeliegende Bandbreite $B$ die Ergebnisse dieser Umrechnung beeinflussen.
Bei allen nachfolgenden Grafiken gehen wir von der Leitungslänge $l = 1 \ \rm km$ und vom Durchmesser $d = 0.4 \ \rm mm$ aus ⇒ $k_1 = 5.1 \ \rm dB/km$, $k_2 = 14.3 \ \rm dB/km$, $k_3 = \ 0.59$. Für diesen Fall zeigt die folgende Grafik
- die mit $α_0, α_1$ und $α_2$ approximierte Dämpfung (blaue Kurve)
- im Vergleich zum tatsächlichen Verlauf gemäß $k_1, k_2, k_3$ (rote Kurve).
Die drei Diagramme gelten für die Bandbreiten $B = 10 \ \rm MHz$, $B = 20 \ \rm MHz$ und $B = \ \rm 30 MHz$. Die ermittelten Koeffizienten $α_1$ und $α_2$ sind angegeben. Stets gilt $α_0 = k_1 = 5.1 \ \rm dB/km$.
Man erkennt aus diesen Darstellungen:
- Selbst beim größten Approximationsbereich ($B = 30 \ \rm MHz$) nähert die blaue Kurve (mit $α_0, α_1, α_2$) den gemessenen Verlauf (rote Kurve, beschrieben durch $k_1, k_2, k_3$) sehr gut an.
- Bei kleinerer Bandbreite ($B = 20 \ \rm MHz$ bzw. $B = 10 \ \rm MHz$) ist die Approximation im Bereich $0≤ f ≤ B$ noch besser, doch kommt es dann für $f > B$ zu Verfälschungen.
- Der Dämpfungswert $a_{\rm K}(f = 30 \ \rm MHz) ≈ 112.2 \ \rm dB$ setzt sich bei der betrachteten Zweidrahtleitung ($l = 1 \ \rm km$, $d = 0.4 \ \rm mm$) folgendermaßen zusammen: 4.5% geht auf den Gleichsignalkoeffizienten $α_0$ zurück, 23.5% auf den frequenzproportioanlen Anteil $α_1$ und 72% auf den Koeffizienten $α_2$.
- Das Normalkoaxialkabel 2.6/9.5 mm weist im Vergleich dazu erst bei einer Länge von $l = 8.7 \ \rm km$ eine vergleichbare Dämpfung $a_{\rm K}(f = 30 \ \rm MHz) ≈ 112 \ \rm dB$ auf, wobei $α_0$ nur für 0.1% und $α_1$ nur für ca. 1% verantwortlich ist, während der Großteil der Dämpfung vom Skineffekt $(α_2)$ herrührt.
Impulsantworten von Zweidrahtleitungen
Mit dieser Koeffizientenumrechnung $k_1, k_2, k_3 ⇒ α_0, α_1, α_2$ kann nun für den gesamten Frequenzgang einer Zweidrahtleitung geschrieben werden: $$H_{\rm K}(f) = H_{\alpha 0}(f) \cdot H_{\alpha 1}(f) \cdot H_{\beta 1}(f)\cdot H_{\alpha 2}(f) \cdot H_{\beta 2}(f) \hspace{0.05cm}.$$
Hierbei wurden folgende Abkürzungen verwendet: $$\begin{align*} H_{\alpha 0}(f) & = {\rm e}^{-\alpha_0 \hspace{0.05cm} \cdot \hspace{0.05cm} l}= {\rm e}^{-{\rm a}_0}\hspace{0.05cm},\hspace{0.2cm} {\rm a}_0= \alpha_0\hspace{0.15cm}{\rm (in \hspace{0.15cm}Np) }\cdot l,\\ H_{\alpha 1}(f) & = {\rm e}^{-\alpha_1 \cdot f \hspace{0.05cm} \cdot \hspace{0.05cm}l}= {\rm e}^{-{\rm a}_1 \cdot 2f/R}\hspace{0.05cm},\hspace{0.2cm} {\rm a}_1 = \alpha_1\hspace{0.15cm}{\rm (in \hspace{0.15cm}Np) }\cdot l \cdot {R}/{2} \hspace{0.05cm}, \\ H_{\beta 1}(f) & = {\rm e}^{-{\rm j} \hspace{0.05cm} \cdot \hspace{0.05cm} \beta_1 \cdot f \hspace{0.05cm} \cdot \hspace{0.05cm}l} = {\rm e}^{-{\rm j} \hspace{0.05cm} \cdot \hspace{0.05cm} 2 \pi \cdot f \hspace{0.05cm} \cdot \hspace{0.05cm}\tau_{\rm P}} \hspace{0.05cm},\hspace{0.2cm} \tau_{\rm P} = {\beta_1\hspace{0.15cm}{\rm (in \hspace{0.15cm}rad) }\cdot l }/({2 \pi}) \hspace{0.05cm}, \\ H_{\alpha 2}(f) & = {\rm e}^{-\alpha_2 \hspace{0.05cm}\cdot \hspace{0.05cm}\sqrt{f} \hspace{0.05cm} \cdot \hspace{0.05cm}l}= {\rm e}^{-{\rm a}_2 \hspace{0.05cm}\cdot \hspace{0.05cm}\sqrt{2f/R}}\hspace{0.05cm},\hspace{0.2cm} {\rm a}_2 = \alpha_2\hspace{0.15cm}{\rm (in \hspace{0.15cm}Np) }\cdot l \cdot \sqrt{R/2} \hspace{0.05cm}, \\ H_{\beta 2}(f) & = {\rm e}^{-{\rm j} \hspace{0.05cm} \cdot \hspace{0.05cm}\beta_2 \hspace{0.05cm} \cdot \hspace{0.05cm}\sqrt{f} \hspace{0.05cm} \cdot \hspace{0.05cm}l}= {\rm e}^{-{\rm j} \hspace{0.05cm} \cdot \hspace{0.05cm} b_2 \hspace{0.05cm}\cdot \hspace{0.05cm}\sqrt{2f/R}}\hspace{0.05cm},\hspace{0.2cm} b_2 = \beta_2\hspace{0.15cm}{\rm (in \hspace{0.15cm}rad) }\cdot l \cdot \sqrt{R/2} \hspace{0.05cm} \end{align*}$$
Auf die Bedeutung der hier implizit definierten Größen wird etwas später eingegangen.
Wir gehen hier zunächst ganz formal vor. Nach dem Faltungssatz gilt für die resultierende Impulsantwort als die Fourierrücktransformierte von $H_{\rm K}(f)$: $$h_{\rm K}(t) = h_{\alpha 0}(t) \star h_{\alpha 1}(t) \star h_{\beta 1}(t)\star h_{\alpha 2}(t) \star h_{\beta 2}(t) \hspace{0.05cm},$$ $$h_{\alpha 0}(t) \quad \circ\!\!-\!\!\!-\!\!\!-\!\!\bullet\quad H_{\alpha 0}(f) \hspace{0.05cm},\hspace{0.2cm} h_{\alpha 1}(t) \circ\!\!-\!\!\!-\!\!\!-\!\!\bullet\quad H_{\alpha 1}(f) \hspace{0.05cm},\hspace{0.2cm} {\rm usw.}$$
Diese fünf Anteile sollen nun separat betrachtet werden, wobei sich die numerischen Ergebnisse auf ein digitales Übertragungssystem mit der Bitrate $R = 30 \ \rm Mbit/s$ und eine Zweidrahtleitung mit den Abmessungen $d = 0.4 \ \rm mm$ und $l = 1 \ \rm km$ beziehen. Damit lauten die $α$–Koeffizienten in Neper: $$\alpha_0 = 0.59\, \frac{ {\rm Np} }{ {\rm km} } \hspace{0.05cm}, \hspace{0.2cm} \alpha_1 = 0.10\, \frac{ {\rm Np} }{ {\rm km \cdot MHz} }\hspace{0.05cm}, \hspace{0.2cm} \alpha_2 = 1.69\, \frac{ {\rm Np} }{ {\rm km \cdot MHz^{0.5} } } \hspace{0.05cm}.$$
Das Phasenmaß dieser Leitung ist ebenfalls in [PW95][1] angegeben: $$b_{\rm K}(f) = \beta_1 \cdot f + \beta_2 \cdot \sqrt {f}\hspace{0.05cm}, \hspace{0.2cm} \beta_1 = 32.9\, \frac{ {\rm rad} }{ {\rm km \cdot MHz} }\hspace{0.05cm}, \hspace{0.2cm} \beta_2 = 2.26\, \frac{ {\rm rad} }{ {\rm km \cdot MHz^{0.5} } }\hspace{0.05cm}.$$ Als Normierungsgröße der Zeit eignet sich die Symboldauer $T = 1/R ≈ 33 \ \rm ns$.
Interpretation und Manipulation dieser Impulsantworten
Nun sollen die fünf Impulsantwort–Anteile $h_{α0}(t), h_{α1}(t), h_{α2}(t), h_{β1}(t)$ und $h_{β2}(t)$ interpretiert werden:
1. Der von den Ohmschen Verlusten herrührende erste Term (frequenzunabhängige Dämpfung) führt zu einer Diracfunktion mit dem Gewicht $K$, sodass die Faltung mit $h_{α0}(t)$ durch die Multiplikation mit $K = {\rm e}^{–0.59} ≈ 0.55$ ersetzt werden kann: $$h_{\alpha 0}(t) = K \cdot \delta(t) \hspace{0.25cm}{\rm mit}\hspace{0.25cm} K = {\rm e}^{-{\rm a}_0}\hspace{0.45cm}\Rightarrow\hspace{0.45cm} h_{\rm K}(t) = h_{\alpha 0}(t) \star h_{\rm Rest}(t) = K \cdot h_{\rm Rest}(t)\hspace{0.05cm}.$$
2. $H_{α1}(f)$ ist eine reelle und gerade Funktion der Frequenz, so dass auch die Fourierrücktransformierte reell und symmetrisch um $t =0$ ist: $$H_{\alpha 1}(f) = {\rm e}^{-2\cdot{\rm a}_1 \cdot |f/R|} \quad \bullet\!\!-\!\!\!-\!\!\!-\!\!\circ\quad h_{\alpha 1}(t)= \frac{1}{T} \cdot \frac{{\rm a}_1}{{\rm a}_1^2 + \pi \cdot (t/T)^2}\hspace{0.05cm}, \hspace{0.2cm} {\rm a}_1 \hspace{0.15cm}{\rm in \hspace{0.15cm}Np } \hspace{0.05cm}.$$ Mit den beispielhaften Zahlenwerten $α_1 = 0.1 \ \rm Np/(km · MHz)$, $l = 1 \ \rm km$, $R = 30 \ \rm MHz$ ⇒ $a_1 = 1.5 \ \rm (Np)$ ergibt sich für das Maximum dieses Anteils: $$h_{α1}(t = 0) = 1/a_1 = 2/3 · 1/T.$$
3. Wie bei den Koaxialkabelsystemen führt $H_{β1}(f)$ zu keiner Signalverzerrung, sondern nur zu einer Zeitverzögerung um die Phasenlaufzeit $τ_{\rm P} ≈ 5.24 \ \rm μs$ ⇒ $ τ_{\rm P}/T ≈ 157$.
4. Wenden wir uns schließlich der gemeinsamen Betrachtung der Spektralanteile $H_{α2}(f)$ und $H_{β2}(f)$ zu, die im Zeitbereich durch die Teilimpulsantwort $h_2(t)$ beschrieben wird: $$H_{\alpha 2}(f) \cdot H_{\beta 2}(f) \quad \bullet\!\!-\!\!\!-\!\!\!-\!\!\circ\quad h_{\alpha 2}(t) \hspace{0.05cm}.$$ Um die Ergebnisse des Kapitels Eigenschaften von Koaxialkabeln anwenden zu können, ersetzen wir $β_2$ durch $α_2 · \rm rad/Np$ und $b_2$ durch ${\rm a}_2$ · rad/Np, so dass ${\rm a}_2$ und $b_2$ den gleichen Zahlenwert besitzen. Beispielhaft ersetzt man hier: $$ b_2 = 8.75\, {\rm rad}\hspace{0.2cm} \Rightarrow \hspace{0.2cm} b_2 = 6.55 \,{\rm rad}\hspace{0.05cm}.$$ Man reduziert somit die Konstante $β_2 = 2.26 \ \rm rad/(km · {\rm MHz}^{0.5}$) auf $β_2 = 1.69 \ \rm rad/(km · {\rm MHz}^{0.5}$).
5. Bevor wir den Leser unnötig zu Überlegungen verleiten, ob diese Näherung tatsächlich zulässig ist oder nicht, geben wir gleich freiwillig zu, dass diese Annahme die Schwachstelle unserer Überlegungen ist. Eine Diskussion dieser Fehlannahme folgt im nächsten Abschnitt.
6. Nachdem nun ${\rm a}_2$ und $b_2$ die gleichen Zahlenwerte aufweisen, kann die in Eigenschaften von Koaxialkabeln angegebene Gleichung weiterverwendet werden, wobei $\rm a_∗$ durch $\rm a_2$ zu ersetzen ist: $$h_{\rm 2}(t ) = \frac {1/T \cdot {\rm a_2}}{\pi \cdot \sqrt{2 \cdot(t/T)^3}}\cdot {\rm exp} \left [ -\frac {{\rm a_2}^2}{ {2\pi \cdot t/T}} \right ] \hspace{0.05cm}, \hspace{0.2cm} {\rm a}_2\hspace{0.15cm}{\rm in \hspace{0.15cm}Np} \hspace{0.05cm}.$$
7. Die gesamte Impulsantwort ohne Berücksichtigung der Phasenlaufzeit ergibt sich damit zu $$h_{\rm K}(t + \tau_{\rm P}) = K \cdot h_{\alpha 1}(t) \star h_{2}(t)\hspace{0.05cm}.$$ Durch Verschiebung um $τ_{\rm P}$ nach rechts ergibt sich die gesuchte Funktion $h_{\rm K}(t)$. Im folgenden Beispiel wird diese Vorgehensweise durch Grafiken verdeutlicht.
Für die folgenden Grafiken wird weiterhin eine Zweidrahtleitung mit den Abmessungen $d = 0.4 \ \rm mm$ und $l = 1 \ \rm km$ vorausgesetzt. Die Bitrate beträgt $R = 30 \ \rm Mbit/s$ ⇒ Symboldauer $T ≈ 33\ \rm ns$. Wir gehen von den im gelben Kasten angegebenen Größen aus, die auf der letzten Seite berechnet wurden. Der $b_2$–Wert wird von $8.75 \ \rm rad$ dazu auf $6.55 \ \rm rad$ verändert und damit an den ${\rm a}_2$–Wert angepasst. Die Auswirkungen dieser Maßnahme werden auf der nächsten Seite interpretiert.
Beachten Sie bitte die unterschiedlichen Ordinatenskalierungen der drei Diagramme in obiger Grafik.
- Oben rechts ist $h_1(t) = h_{\rm α1}(t + τ_{\rm P})$ dargestellt. Dieser Anteil geht auf die Konstanten $α_1$ und $β_1$ zurück. $h_1(t)$ ist eine bezüglich der Phasenlaufzeit $τ_{\rm P}$ symmetrische Funktion mit dem Maximalwert $(1.5T)^{–1}$, wobei der 1/(1 + $x^2$)–Abfall bei $ \pm 5T$ (rechts und links von $τ_{\rm P}$) nahezu abgeklungen ist.
- Das linke untere Diagramm zeigt den Signalanteil $h_2(t)$, der auf die beiden Koeffizienten $α_2$ und $β_2$ zurückgeht. $h_2(t)$ ist identisch mit der Koaxialkabel–Impulsantwort (ohne Berücksichtigung der Laufzeit), wenn die charakteristische Kabeldämpfung $6.55 \ \rm Np$ bzw. $56.9 \ \rm dB$ beträgt.
- Die rote Kurve in diesem Diagramm stellt das Faltungsprodukt $h_1(t) ∗ h_2(t)$ dar. Man erkennt, dass die Kurvenform im wesentlichen durch $h_2(t)$ festliegt. Die Faltung mit $h_1(t)$ führt aber neben einem Amplitudenverlust um ca. $10\%$ auch zu einer (leichten) Verfälschung der Signalform.
- Die resultierende Impulsantwort der 0.4mm–Zweidrahtleitung ist im unteren rechten Diagramm als blaue Kurve dargestellt. Der Unterschied zum rot eingezeichneten Faltungsprodukt $h_1(t) ∗ h_2(t)$ ergibt sich durch den Einfluss der Gleichsignaldämpfung (Koeffizient $α_0$).
Die hier vorgestellte Methode können Sie sich auch für andere Parameterwerte (Durchmesser, Länge, Bitrate) mit dem Interaktionsmodul Zeitverhalten von Kupferkabeln verdeutlichen.
Diskussion der gefundenen Näherungslösung
Die erste Grafik zeigt die (normierten) Impulsantworten $T · h_{\rm K}(t)$ für zwei beispielhafte Kupferkabel, nämlich
- für das Normalkoaxialkabel 2.6/9.5 mm bei 10.1 km Länge (oben), wobei gilt:
$$a_0 = 0.016\,{\rm Np}\hspace{0.05cm}, \hspace{0.15cm} a_1 = 0.020\,{\rm Np}\hspace{0.05cm}, \hspace{0.15cm} a_2 = 6.177\,{\rm Np}\hspace{0.05cm}, \hspace{0.15cm} \tau_{ {\rm P} }/T = 350\hspace{0.05cm}, \hspace{0.15cm} b_2 = 6.177\,{\rm rad}\hspace{0.05cm},$$
- für die 0.4 mm Zweidrahtleitung mit der Länge 1.8 km (unten) mit den Kenngrößen
$$a_0 = 1.057\,{\rm Np}\hspace{0.05cm}, \hspace{0.15cm} a_1 = 0.147\,{\rm Np}\hspace{0.05cm}, \hspace{0.15cm} a_2 = 6.177\,{\rm Np}\hspace{0.05cm}, \hspace{0.15cm} \tau_{ {\rm P} }/T = 94\hspace{0.05cm}, \hspace{0.15cm} b_2 = 8.260\,{\rm rad}\hspace{0.05cm}.$$
Diese Zahlenwerte gelten für die Bitrate $R = 10 \ \rm Mbit/s$ ⇒ Zeitnormierung $T = 0.1 \ \rm μs$. Die beiden Kabellängen wurden so gewählt, dass sich genau gleiche $a_2$–Parameter ergeben. Zudem wurde für die Zweidrahtleitung der letzte Phasenwert $b_2 ⇒ b_2'$ so angepasst, dass sich wie beim Koaxialkabel für $b_2' = 6.177 \ \rm rad$ und $a_2 = 6.177 \ \rm Np$ (≈ 53 dB) gleiche Zahlenwerte ergeben.
Die blauen Kurven zeigen die Näherungen bei Vernachlässigung der $a_0–, a_1–$ und $b_1–$Terme. Aufgrund der Phasenanpassung $b_2 ⇒ b_2'$ bei der Zweidrahtleitung ergeben sich gleiche Kurvenverläufe. Das Maximum von ca. 3.8% liegt bei etwa $t/T = 4$ (unterschiedlichen Zeitmaßstäbe in beiden Diagrammen!).
Die roten Kurven berücksichtigen auch die $a_0–, a_1–$ und $b_1–$Terme. Die rote Kurve des Koaxialkabels ist die tatsächliche (normierte) Impulsantwort $T · h_{\rm K}(t)$. Man erkennt weiter:
- Beim Koaxialkabel können der $a_0–$Term und der $a_1–$Term vernachlässigt werden. Der dadurch entstehende relative Fehler beträgt lediglich $3.5\%$.
- Nicht zu vernachlässigen ist dagegen die Phasenlaufzeit $τ_{\rm P}$, also der $b_1–$Term. Beim Koaxialkabel ergibt sich $τ_{\rm P}/T ≈ 350$, während bei der Zweidrahtleitung $τ_{\rm P}/T ≈ 94$ gilt (beachten Sie die unterschiedlichen Zeitmaßstäbe).
- Bei der Zweidrahtleitung (unten) darf man Gleichsignaldämpfung $(a_0)$ und Querverlust $(a_1)$ nicht vernachlässigen: Die rote Näherung $T · h_{\rm K}'(t)$ ist um $70\%$ niedriger als die blaue und etwas breiter.
Die zweite Grafik zeigt Näherungen der Impulsantwort einer Zweidrahtleitung (Länge 1.8 km, Durchmesser 0.4 mm), so dass entsprechend [PW95][1] von folgenden Kenngrößen auszugehen ist:
$$a_0 = 1.057\,{\rm Np}\hspace{0.05cm}, \hspace{0.15cm}
a_1 = 0.147\,{\rm Np}\hspace{0.05cm}, \hspace{0.15cm}
a_2 = 6.177\,{\rm Np}\hspace{0.05cm}, \hspace{0.15cm}
\tau_{ {\rm P} }/T = 94\hspace{0.05cm}, \hspace{0.15cm}
b_2 = 8.260\,{\rm rad}\hspace{0.05cm}.$$
Das obere Diagramm – identisch mit dem unteren Diagramm der letzten Grafik – zeigt zwei Näherungen bei
- Vernachlässigung der $a_0–, a_1–$ und $b_1–$Terme sowie Phasenanpassung $b_2 ⇒ b_2'$ (blaue Kurve),
- Berücksichtigung der $a_0–, a_1–$ und $b_1–$Terme, weiterhin Phasenanpassung $b_2 ⇒ b_2'$ (rote Kurve).
Im Gegensatz zum Koaxialkabel ist hier wegen $b_2' ≠ b_2$ die rote Kurve $T · h_{\rm K}'(t)$ hier auch nur eine Näherung, was in der Grafik durch das Hochkomma vermerkt ist.
Ohne die Korrektur $b_2' = a_2 ·$ rad/Np wäre die Hilbert–Transformation (Zusammenhang zwischen Betrag und Phase bei realen ⇒ minimalphasigen Systemen) nicht erfüllt. Deshalb ergäbe sich eine akausale Impulsantwort. Wir glauben deshalb (ohne es zu wissen), dass auch bei einer Zweidrahtleitung die beiden Parameter $a_2$ und $b_2$ gleiche Zahlenwerte haben müssten. Wir betrachten nun zwei Fälle.
- Für das obere Diagramm haben wir weiterhin den in [PW95][1] angegebenen $a_2–$Koeffizienten übernommen und den genannten Koeffizienten $b_2 = 8.26 \ \rm rad$ auf $b_2' = 6.18 \ \rm rad$ herabgesetzt.
- Dagegen wurde für das untere Grafik der Phasenkoeffizient $b_2 = 8.26 \ \rm rad$ beibehalten und stattdessen der Dämpfungskoeffizient $a_2 = 6.18 \ \rm Np$ an den Phasenkoeffizienten angepasst (also vergrößert): $a_2' = 8.26 \ \rm Np$.
- Die rot eingezeichnete Impulsantwort im unteren Diagramm ⇒ Worst Case ist weniger als halb so hoch und deutlich breiter als die obere (rote) Impulsantwort ⇒ Best Case. Die tatsächliche (normierte) Impulsantwort $T \cdot h_{\rm K}'(t)$ wird wohl dazwischen liegen. Genauere Aussagen erlauben wir uns nicht.
Störungen auf Zweidrahtleitungen
Bei Übertragungssystemen über Zweidrahtleitungen kann vom gleichen Blockschaltbild wie bei den Koaxialkabelsystemen ausgegangen werden, wobei nun
- für den Frequenzgang $H_{\rm K}(f)$ und die Impulsantwort $h_{\rm K}(t)$ die in diesem Abschnitt angegebenen Gleichungen zu verwenden sind,
- das weiße Rauschen $N_0$ nicht mehr die dominante Störungsursache ist, sondern nun Nebensprechen (Crosstalk) aufgrund von kapazitiver bzw. induktiver Kopplung benachbarter Doppeladern als stochastische Störung überwiegt.
Durch Verdrillen der Doppeladern eines Sternvierers sowie der Grund– und Hauptbündel entsprechend der Grafik am Ende des Kapitels Zugangsnetz eines Telekommunikationssystems wird versucht, im Mittel eine möglichst symmetrische gegenseitige Kopplung zwischen allen Aderpaaren zu erreichen. Aufgrund unvermeidbarer Fertigungstoleranzen bleibt aber immer eine leichte Unsymmetrie bestehen. Diese bewirkt, dass
- an jeden Empfängereingang neben dem eigenen Nutzsignal auch (meist allerdings nur geringe) Signalanteile von benachbarten Doppeladern gelangen,
- die induzierten Signalanteile für das Nutzsignal eine zusätzliche stochastische Störung darstellen, die zusammen mit dem thermischen Rauschen das resultierende Störsignal $n(t)$ ergeben,
- man die Übertragungsqualität nicht oder nur sehr begrenzt durch Erhöhung der Sendeleistung verbessern kann, da durch diese Maßnahme auch die Nebensprechstörungen zunehmen.
Wie die Grafik verdeutlicht, unterscheidet man zwischen
- Nahnebensprechen (Near–End–Crosstalk ⇒ NEXT): Der störende Sender speist sein Signal am selben Ende des Kabels ein, an dem der betrachtete Empfänger platziert ist.
- Fernnebensprechen (Far–End–Crosstalk ⇒ FEXT): Der störende Sender und der gestörte Empfänger befinden sich an entgegengesetzten Kabelenden.
Bei FEXT akkumuliert sich zwar die Störung über die gesamte Kabellänge, wird aber auch durch die Kabeldämpfung stark abgeschwächt. Für gebündelte Kabel im Teilnehmeranschlussbereich ergeben sich somit durch das „Imvierer–Nahnebensprechen” um Größenordnungen größerere Störungen als durch das Fernnebensprechen, und auch die Nahnebensprechstörungen von benachbarten Adern können meist vernachlässigt werden.
Wir betrachten weiterhin ausschließlich das Nahnebensprechen (NEXT). Bei diesem lässt sich das Leistungsdichtespektrum (LDS) des Störsignals $n(t)$ unter Berücksichtigung des unvermeidbaren thermischen Rauschens $(N_0/2)$ wie folgt darstellen:
$${\it \Phi}_n(f) = \frac{N_0}{2}+{\it \Phi}_{\rm NEXT}(f) \hspace{0.05cm},\hspace{0.3cm}{\rm mit} \hspace{0.3cm}{\it \Phi}_{\rm NEXT}(f) = {\it \Phi}_{s}(f) \cdot |H_{\rm NEXT}(f)|^2 \approx {\it \Phi}_{s}(f)} \cdot [K_{\rm NEXT} \cdot f]^{3/2}\hspace{0.05cm}.$$
Zu dieser Gleichung ist anzumerken:
- Die Gleichung ergibt sich durch Integration der lokalen Kopplungen über die gesamte Länge eines kurzen Abschnitts, wobei die Kopplungen zwischen allen Kupferleitungen durch Querkapazitäten und –Induktivitäten modelliert werden.
- ${\it \Phi}_s(f)$ ist das LDS des störenden Senders, woraus sich durch Integration die Sendeleistung $P_{\rm S}$ ergibt. Nimmt man an, dass die gestörte Übertragung das gleiche Sendesignal und damit auch das gleiche LDS ${\it \Phi}_s(f)$ wie der Störer verwendet, so wird deutlich, dass durch eine Erhöhung von $P_{\rm S}$ lediglich der (relative) Einfluss des thermischen Rauschens $(N_0/2)$ vermindert wird.
- Der das Nahnebensprechen quantifizierende Faktor $K_{\rm NEXT}$ hängt stark vom Adernabstand ab, ebenso vom Unsymmetriegrad entlang des Kabels. Dagegen ist dieser Faktor $K_{\rm NEXT}$ nahezu unabhängig vom Leiterdurchmesser $d$ und von der Leitungslänge $l$.
- Das Produkt $K_{\rm NEXT} · f$ (dimensionslos) ist im gesamten Betriebsbereich der Leitung, zum Beispiel für alle Frequenzen $0 ≤ f ≤ 30 \ \rm MHz$, stets sehr viel kleiner als $1$. Die Nebensprechstörung steigt mit der Frequenz stark (das heißt mit dem Exponenten $1.5$) an.
- In [PW95][1] werden nach einer Messreihe über 40 Doppeladern für die Frequenz $f = 10 \ \rm MHz$ folgende Werte genannt (für $f = 30 \ \rm MHz$ sind diese Werte noch mit $3^{3/2} ≈ 5.2$ zu multiplizieren):
- 1. ungünstigster Fall: $|H_{\rm NEXT}(f = 10 MHz)|^2 ≈ 0.001$,
- 2. Mittelung über 40 Adern: $|H_{\rm NEXT}(f = 10 MHz)|^2 ≈ 0.0004$.
- Die Werte gelten für das Imvierer–Nahnebensprechen (störender Sender und gestörter Empfänger im gleichen Sternvierer). Nahnebensprechstörungen zwischen weiter entfernten Adern weisen zwar die gleiche Frequenzabhängigkeit auf, sind aber kleiner als das Imvierer–Nahnebensprechen:
- 1. Nahnebensprechen zwischen benachbarten Sternvierern um ca. $5 \ \rm dB$,
- 2. Nahnebensprechen zwischen benachbarten Grundbündeln um ca. $10 \ \rm dB$,
- 3. Nahnebensprechen zwischen nicht benachbarten Grundbündeln um ca. $25 \ \rm dB$.
Um solche Nahnebensprechstörungen zu vermeiden oder zumindest zu vermindern, werden benachbarte Doppeladern häufig mit ganz unterschiedlichen Signalen (analoge Telefonie, ISDN, DSL oder andere breitbandige Dienste) belegt, die möglichst auch noch unterschiedliche Frequenzbänder benutzen. Durch geschickte Auswahl der Doppeladern können nun benachbarte Adern mit Signalen belegt werden, deren Spektren möglichst wenig überlappen, wodurch die Nebensprechstörungen vermindert werden.
Quellenverzeichnis