Lineare zeitinvariante Systeme/Systembeschreibung im Frequenzbereich: Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 26. Januar 2017, 12:06 Uhr

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Im Buch „Signaldarstellung” wurden Sie mit der mathematischen Beschreibung deterministischer Signale im Zeit- und Frequenzbereich vertraut gemacht. Das zweite Buch „Lineare zeitvariante Syteme” beschreibt nun, welche Veränderungen ein Signal bzw. dessen Spektrum durch ein Nachrichtensystem erfährt und wie diese Veränderungen mathematisch erfasst werden können.

  • Das „System” kann sowohl eine einfache Schaltung als auch ein vollständiges, hochkompliziertes Übertragungssystem mit einer Vielzahl von Komponenten sein. Es wird hier lediglich vorausgesetzt, dass das System die beiden Eigenschaften linear und zeitinvariant aufweist.


Im ersten Kapitel werden die Grundlagen der so genannten Systemtheorie genannt, die eine einheitliche und einfache Beschreibung solcher Systeme erlaubt. Wir beginnen mit der Systembeschreibung im Frequenzbereich mit den unten aufgeführten Teilaspekten.

Weitere Informationen zum Thema sowie Aufgaben, Simulationen und Programmierübungen finden Sie im

  • Kapitel 6: Lineare zeitinvariante Systeme (Programm lzi)


des Praktikums „Simulationsmethoden in der Nachrichtentechnik”. Diese LNT-Lehrveranstaltung an der TU München basiert auf

  • dem Lehrsoftwarepaket LNTsim  ⇒  Link verweist auf die ZIP-Version des Programms und
  • dieser Praktikumsanleitung  ⇒  Link verweist auf die PDF-Version; Kapitel 6: Seite 99-118.


Das Ursachen-Wirkungs-Prinzip

Wir betrachten in diesem Kapitel stets das folgende einfache Modell:

Einfachstes Systemmodell

Diese Anordnung ist wie folgt zu interpretieren:

  • Im Mittelpunkt steht das so genannte System, das in seiner Funktion weitestgehend abstrahiert ist („Black Box”). Über die Realisierung des Systems ist nichts Genaues bekannt.
  • Die auf dieses System einwirkende zeitabhängige Eingangsgröße $x(t)$ bezeichnen wir im Folgenden auch als die Ursachenfunktion.
  • Am Ausgang des Systems erscheint dann die Wirkungsfunktion $y(t)$ – quasi als Antwort des Systems auf die Eingangsfunktion $x(t)$.


Anmerkung: Das System kann im Allgemeinen von beliebiger Art sein und ist nicht allein auf die Nachrichtentechnik beschränkt. Vielmehr wird auch in anderen Wissenschaftsgebieten wie zum Beispiel den Naturwissenschaften, der Volks- und Betriebswirtschaft, der Soziologie und der Politologie versucht, Kausalzusammenhänge zwischen verschiedenen Größen durch das Ursachen–Wirkungs–Prinzip zu erfassen und zu beschreiben.

Die für diese phänomenologischen Systemtheorien angewandten Methoden unterscheiden sich aber deutlich von der Vorgehensweise in der Nachrichtentechnik, die in diesem ersten Kapitel des vorliegenden Buches „Lineare zeitinvariante Systeme” dargelegt wird.

Anwendung in der Nachrichtentechnik

Das Ursachen–Wirkungs–Prinzip lässt sich auch in der Nachrichtentechnik anwenden, beispielsweise zur Beschreibung von Zweipolen. Hier kann man den Stromverlauf $i(t)$ als Ursachenfunktion und die Spannung $u(t)$ als Wirkungsfunktion betrachten. Durch Beobachten der I/U–Beziehungen lassen sich so Rückschlüsse über die Eigenschaften des eigentlich unbekannten Zweipols ziehen.

Karl Küpfmüller hat den Begriff „Systemtheorie” 1949 erstmals (in Deutschland) eingeführt. Er versteht darunter eine Methode zur Beschreibung komplexer Kausalzusammenhänge in Naturwissenschaften und Technik, basierend auf einer Spektraltransformation – beispielsweise der im Buch „Signaldarstellung” dargelegten Fouriertransformation.

Man kann ein ganzes Nachrichtensystem systemtheoretisch beschreiben. Hier ist

  • die Ursachenfunktion das Eingangssignal $x(t)$ bzw. dessen Spektrum $X(f)$,
  • die Wirkungsfunktion das Ausgangssignal $y(t)$ oder die dazugehörige Spektralfunktion $Y(f)$.

Allgemeines Modell der Nachrichtenübertragung

Auch in den nachfolgenden Bildern werden die Eingangsgrößen meist blau, die Ausgangsgrößen rot und Systemgrößen grün gezeichnet.

Beschreibt das „Nachrichtensystem” eine vorgegebene lineare Schaltung, so kann bei bekanntem Eingangssignal $x(t)$ mit Hilfe der Systemtheorie das Ausgangssignal $y(t)$ vorhergesagt werden. Eine zweite Aufgabe der Systemtheorie besteht darin, durch Messung von $y(t)$ bei Kenntnis von $x(t)$ das Nachrichtensystem zu klassifizieren, ohne dieses im Detail zu kennen.


Beschreibt $x(t)$ beispielsweise die Stimme eines Anrufers aus Hamburg und $y(t)$ die Aufzeichnung eines Anrufbeantworters in München, dann besteht das „Nachrichtensystem” aus folgenden Komponenten:

Mikrofon – Telefon – elektrische Leitung – Signalumsetzer – Glasfaserkabel – optischer Verstärker – Signalrücksetzer – Empfangsfilter (zum Beispiel zur Entzerrung und Rauschbegrenzung) –   ...   – elektromagnetischer Wandler.

Voraussetzungen für die Anwendung der Systemtheorie

Das oben angegebene Modell eines Nachrichtensystems gilt allgemein und unabhängig von den Randbedingungen. Die Anwendung der Systemtheorie erfordert jedoch zusätzlich einige einschränkende Voraussetzungen.

Für das Folgende soll stets gelten, wenn nicht explizit etwas anderes angegeben ist:

  • Sowohl $x(t)$ als auch $y(t)$ sind deterministische Signale. Andernfalls muss man entsprechend der Seite Stochastische Systemtheorie im Buch „Stochastische Signaltheorie” vorgehen.
  • Das System ist linear. Dies erkennt man zum Beispiel daran, dass eine harmonische Schwingung $x(t)$ am Eingang auch eine harmonische Schwingung $y(t)$ gleicher Frequenz am Ausgang zur Folge hat:
$$x(t) = A_x \cdot \cos(\omega_0 \hspace{0.05cm}t - \varphi_x)\hspace{0.2cm}\Rightarrow \hspace{0.2cm} y(t) = A_y \cdot\cos(\omega_0 \hspace{0.05cm}t - \varphi_y).$$
  • Neue Frequenzen entstehen nicht. Lediglich Amplitude und Phase der harmonischen Schwingung können verändert werden. Nichtlineare Systeme werden im Kapitel Nichtlineare Verzerrungen behandelt.
  • Aufgrund der Linearität ist auch das Superpositionsprinzip anwendbar. Dieses besagt, dass aus $x_1(t) ⇒ y_1(t)$ und $x_2(t) ⇒ y_2(t)$ auch zwingend die folgende Zuordnung gilt:
$$x_1(t) + x_2(t) \hspace{0.1cm}\Rightarrow \hspace{0.1cm} y_1(t) + y_2(t).$$
  • Das System ist zeitinvariant. Das bedeutet, dass ein um $\tau$ verschobenes Eingangssignal genau das gleiche Ausgangssignal zur Folge hat – aber ebenfalls um $\tau$ verzögert:
$$x(t - \tau) \hspace{0.1cm}\Rightarrow \hspace{0.1cm} y(t -\tau)\hspace{0.4cm}{\rm falls} \hspace{0.4cm}x(t )\hspace{0.2cm}\Rightarrow \hspace{0.1cm} y(t).$$
Zeitvariante Systeme werden im Buch Mobile Kommunikation behandelt.

Sind alle hier aufgeführten Voraussetzungen erfüllt, so spricht man von einem linearen zeitinvarianten System, abgekürzt LZI–System. In der englischsprachigen Literatur ist hierfür die Abkürzung LTI (Linear Time–invariant) gebräuchlich.

Übertragungsfunktion - Frequenzgang

Wir setzen ein LZI–System voraus, dessen Eingangs– und Ausgangsspektrum $X(f)$ bzw. $Y(f)$ bekannt sind oder aus den Zeitsignalen $x(t)$ und $y(t)$ durch Fouriertransformation berechnet werden können.

Zur Definition des Frequenzgangs

Das Übertragungsverhalten eines Nachrichtensystems wird im Frequenzbereich durch die Übertragungsfunktion beschrieben: $$H(f) = \frac{Y(f)}{X(f)}= \frac{ {\rm Wirkungsfunktion}}{ {\rm Ursachenfunktion}}.$$ Weitere Bezeichnungen für $H(f)$ sind Systemfunktion und Frequenzgang. Im Folgenden werden wir vorwiegend den letzten Begriff verwenden.


Am Eingang eines LZI–Systems liegt das Signal $x(t)$ mit dem rein reellen Spektrum $X(f)$ an (blaue Kurve). Das gemessene Ausgangsspektrum $Y(f)$ – in der Grafik rot markiert – ist bei Frequenzen kleiner als 2 kHz größer als $X(f)$ und besitzt im Bereich um 2 kHz eine steilere Flanke. Oberhalb von 2.8 kHz hat das Signal $y(t)$ keine Spektralanteile.

Eingangsspektrum, Ausgangsspektrum und Frequenzgang

Die grünen Kreise markieren einige Messpunkte des ebenfalls reellen Frequenzgangs $H(f)$ = $Y(f)/X(f)$. Bei niedrigen Frequenzen ist $H(f)$ größer als 1, das heißt, in diesem Bereich wirkt das LZI–System verstärkend. Der Flankenabfall von $H(f)$ verläuft ähnlich wie der von $Y(f)$, ist aber nicht identisch mit diesem.

Eigenschaften des Frequenzgangs

Der Frequenzgang $H(f)$ ist eine zentrale Größe bei der Beschreibung nachrichtentechnischer Systeme. Nachfolgend werden einige Eigenschaften dieser wichtigen Systemgröße aufgezählt:

  • Der Frequenzgang beschreibt allein das System. Er ist zum Beispiel aus den linearen Bauelementen eines elektrischen Netzwerks berechenbar. Bei anderem Eingangssignal $x(t)$ und dementsprechend anderem Ausgangssignal $y(t)$ ergibt sich der genau gleiche Frequenzgang $H(f)$.
  • $H(f)$ kann auch eine Einheit besitzen. Betrachtet man zum Beispiel bei einem Zweipol den Spannungsverlauf $u(t)$ als Ursache und den Strom $i(t)$ als Wirkung, so hat der Frequenzgang $H(f)$ = $I(f)/U(f)$ die Einheit A/V. $I(f)$ und $U(f)$ sind die Fouriertransformierten von $i(t)$ bzw. $u(t)$.
  • Im Folgenden betrachten wir ausschließlich Vierpole. Zudem setzen wir ohne Einschränkung der Allgemeingültigkeit meist voraus, dass $x(t)$ und $y(t)$ jeweils Spannungen seien. In diesem Fall ist $H(f)$ stets dimensionslos.
  • Da die Spektren $X(f)$ und $Y(f)$ im Allgemeinen komplex sind, ist auch der Frequenzgang $H(f)$ eine komplexe Funktion. Man bezeichnet den Betrag $\\ |H(f)|$ als Amplitudengang. Dieser wird auch oft in logarithmierter Form dargestellt und als Dämpfungsverlauf bezeichnet:
$$a(f) = - \ln |H(f)| = - 20 \cdot \lg |H(f)|.$$
Je nachdem, ob die erste Form mit dem natürlichen oder die zweite mit dekadischem Logarithmus verwendet wird, ist die Pseudoeinheit „Neper” (Np) bzw. „Dezibel” (dB) hinzuzufügen.
  • Der Phasengang ist aus $H(f)$ in folgender Weise berechenbar:
$$b(f) = - {\rm arc} \hspace{0.1cm}H(f) \hspace{0.2cm}{\rm in\hspace{0.1cm}Radian \hspace{0.1cm}(rad)}.$$
  • Damit kann der gesamte Frequenzgang auch wie folgt dargestellt werden:
$$H(f) = |H(f)| \cdot {\rm e}^{-{\rm j} \hspace{0.05cm} \cdot\hspace{0.05cm} b(f)} = {\rm e}^{-a(f)}\cdot {\rm e}^{-{\rm j}\hspace{0.05cm} \cdot \hspace{0.05cm} b(f)}.$$

Tiefpass, Hochpass, Bandpass und Bandsperre

Nach dem Amplitudengang $|H(f)|$ unterscheidet man zwischen

  • Tiefpass:  Signalanteile werden mit zunehmender Frequenz in der Tendenz stärker gedämpft.
  • Hochpass:  Hier werden hochfrequente Signalanteile weniger gedämpft als niederfrequente. Ein Gleichsignal (also ein Signalanteil mit der Frequenz $f = 0$) kann über einen Hochpass nicht übertragen werden.
  • Bandpass:  Es gibt eine bevorzugte Frequenz, die man als Mittenfrequenz $f_{\rm M}$ bezeichnet. Je weiter die Frequenz eines Signalanteils von $f_{\rm M}$ entfernt ist, um so stärker wird dieser gedämpft.
  • Bandsperre:  Dies ist das Gegenstück zum Bandpass und es gilt $|H(f_{\rm M})| ≈ 0$. Sehr niederfrequente und sehr hochfrequente Signalanteile werden dagegen gut durchgelassen.
Tiefpass, Hochpass (links) und Bandpass (rechts)

Die Grafik zeigt die Amplitudengänge der Filtertypen TP und HP (links) sowie BP (rechts). Ebenfalls eingezeichnet sind die Grenzfrequenzen $f_{\rm G}$ (bei Tiefpass und Hochpass) bzw. $f_{\rm U}$ und $f_{\rm O}$ (beim Bandpass). Diese bezeichnen hier 3dB–Grenzfrequenzen, zum Beispiel gemäß folgender Definition:

Die 3dB–Grenzfrequenz eines Tiefpasses gibt diejenige Frequenz $f_{\rm G}$ an, für die gilt: $$|H(f = f_{\rm G})| = {1}/{\sqrt{2}} \cdot|H(f = 0)| \hspace{0.5cm}\Rightarrow\hspace{0.5cm} |H(f = f_{\rm G})|^2 = {1}/{2} \cdot|H(f = 0)|^2.$$


Anzumerken ist, dass es für Grenzfrequenzen auch andere Definitionen gibt. Diese finden Sie auf der Seite Allgemeine Bemerkungen im Kapitel „Einige systemtheoretische Tiefpassfunktionen” .

Testsignale zur Messung von H(f)

Zur messtechnischen Erfassung des Frequenzgangs $H(f)$ eignet sich jedes beliebige Eingangssignal $x(t)$ mit Spektrum $X(f)$, solange $X(f)$ keine Nullstellen aufweist. Durch Messung des Ausgangsspektrums $Y(f)$ lässt sich so der Frequenzgang in einfacher Weise ermitteln: $$H(f) = \frac{Y(f)}{X(f)}.$$ Insbesondere sind folgende Eingangssignale besonders geeignet:

  • Diracimpuls   $x(t) = K · δ(t)$   ⇒   Spektrum $X(f) = K$:
Somit ist der Frequenzgang nach Betrag und Phase formgleich mit dem Ausgangsspektrum $Y(f)$ und es gilt $H(f) = 1/K · Y(f)$. Approximiert man den Diracimpuls durch ein schmales Rechteck gleicher Fläche $K$, so muss $H(f)$ mit Hilfe einer ${\rm sin}(x)/x$–Funktion korrigiert werden.
  • Diracpuls – die unendliche Summe gleichgewichteter Diracimpulse im zeitlichen Abstand $T_{\rm A}$:
Dieser führt gemäß Kapitel Zeitdiskrete Signaldarstellung im Buch „Signaldarstellung” zu einem Diracpuls im Frequenzbereich mit Abstand $f_{\rm A} =1/T_{\rm A}$. Damit ist eine frequenzdiskrete Messung von $H(f)$ möglich, mit den spektralen Abtastwerten im Abstand $f_{\rm A}$.
  • Harmonische Schwingung   $x(t) = A_x · \cos (2πf_0t – φ_x)$   ⇒   diracförmiges Spektrum bei $\pm f_0$:
Das Ausgangssignal $y(t) = A_y · \cos(2πf_0t – φ_y)$ ist eine Schwingung mit gleicher Frequenz $f_0$. Der Frequenzgang lautet für $f_0 \gt 0$:
$$H(f_0) = \frac{Y(f_0)}{X(f_0)} = \frac{A_y}{A_x}\cdot{\rm e}^{\hspace{0.05cm} {\rm j} \hspace{0.05cm} \cdot \hspace{0.05cm} (\varphi_x - \varphi_y)}.$$ Um den frequenzkontinuierlichen Frequenzgang $H(f)$ zu ermitteln, sind allerdings (unendlich) viele Messungen mit unterschiedlichen Frequenzen $f_0$ erforderlich.


Aufgaben zum Kapitel

Aufgabe 1.1:   Einfache Filterfunktionen

Zusatzaufgabe 1.1Z:   Tiefpass 1. und 2. Ordnung

Aufgabe 1.2:   Koaxialkabel

Zusatzaufgabe 1.2Z:   Messung der Übertragungsfunktion

Test von Lernvideos

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Aufruf Übertragungsfunktion.swf


Ein Gleichsignal ist ein deterministisches Signal, dessen Augenblickswerte für alle Zeiten $t$ von $-\infty$ bis $+\infty$ konstant sind. Ein solches Signal ist der Grenzfall einer harmonischen Schwingung, wobei die Periodendauer $T_{0}$ einen unendlich großen Wert besitzt.