Differentielle Entropie
Inhaltsverzeichnis
- 1 Eigenschaften wertkontinuierlicher Zufallsgrößen
- 2 Entropie wertkontinuierlicher Zufallsgrößen nach Quantisierung
- 3 Definition und Eigenschaften der differentiellen Entropie
- 4 Differentielle Entropie einiger spitzenwertbegrenzter Zufallsgrößen
- 5 Differentielle Entropie einiger leistungsbegrenzter Zufallsgrößen
- 6 WDF–Herleitung für maximale differentielle Entropie
- 7 Aufgaben zu Kapitel 4.1
Eigenschaften wertkontinuierlicher Zufallsgrößen
Bisher wurden stets wertdiskrete Zufallsgrößen der Form $X = \{x_1, x_2, ... , x_μ, ... , x_M\}$ betrachtet, die aus informationstheoretischer Sicht vollständig durch ihre Wahrscheinlichkeitsfunktion (englisch: Probability Mass Function, PMF) $P_X(X)$ charakterisiert werden:
Eine wertkontinuierliche Zufallsgröße kann dagegen – zumindest in endlichen Intervallen – jeden beliebigen Wert annehmen. Aufgrund des nicht abzählbaren Wertevorrats ist in diesem Fall die Beschreibung durch eine Wahrscheinlichkeitsfunktion nicht möglich oder zumindest nicht sinnvoll: Es ergäbe sich nämlich $M$ → $∞$ sowie $p_1$ → 0, $p_2$ → 0, usw.
Nomenklaturhinweise zu WDF und VTF
Man verwendet zur Beschreibung wertkontinuierlicher Zufallsgrößen gemäß den Definitionen im Buch „Stochastische Signaltheorie” gleichermaßen (beachten Sie die Einträge in der Grafik):
- Wahrscheinlichkeitsdichtefunktion (WDF, englisch: Probability Density Function, PDF):
In Worten: Der WDF–Wert bei $x_0$ gibt die Wahrscheinlichkeit $p_{Δx}$ an, dass die Zufallsgröße $X$ in einem (unendlich kleinen) Intervall der Breite $Δx$ um $x_0$ liegt, dividiert durch $Δx$.
- Mittelwert (Moment erster Ordnung, englisch: Mean Value bzw. Expectation Value):
- Varianz (Zentralmoment zweiter Ordnung, englisch: Variance):
- Verteilungsfunktion (VTF, englisch: Cumulative Distribution Function, CDF):
Beachten Sie, dass sowohl die WDF–Fläche als auch der VTF–Endwert stets gleich 1 sind.
Wir betrachten nun mit der Gleichverteilung einen wichtigen Sonderfall. Die Grafik zeigt den Verlauf zweier gleichverteilter Größen, die alle Werte zwischen 1 und 5 (Mittelwert $m_1$ = 3) mit gleicher Wahrscheinlichkeit annehmen können. Links ist das Ergebnis eines Zufallsprozesses dargestellt, rechts ein deterministisches Signal („Sägezahn”) mit gleicher Amplitudenverteilung.
Die Wahrscheinlichkeitsdichtefunktion der Gleichverteilung hat den unten skizzierten Verlauf:
Es ergeben sich hier für den Mittelwert $m_1$ = ${\rm E}[X]$ und die Varianz $σ_2$ = ${\rm E}[(X – m_1)^2]$ folgende Gleichungen:
Unten dargestellt ist die Verteilungsfunktion (VTF):
Diese ist für $x ≤ x_{\rm min}$ identisch 0, steigt danach linear an und erreicht bei $x$ = $x_{\rm max}$ den VTF–Endwert 1. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Zufallgröße $X$ einen Wert zwischen 3 und 4 annimmt, kann sowohl aus der WDF als auch aus der VTF ermittelt werden:
Weiterhin ist zu beachten:
- Das Ergebnis $X$ = 0 ist bei dieser Zufallsgröße ausgeschlossen ⇒ Pr($X$ = 0) = 0.
- Das Ergebnis $X$ = 4 ist dagegen durchaus möglich. Trotzdem gilt auch hier Pr($X$ = 4) = 0.
Entropie wertkontinuierlicher Zufallsgrößen nach Quantisierung
Wir betrachten nun eine wertkontinuierliche Zufallsgröße $X$ im Bereich von 0 bis 1.
- Wir quantisieren die kontinuierliche Zufallsgröße $X$, um die bisherige Entropieberechnung weiter anwenden zu können. Die so entstehende diskrete (quantisierte) Größe nennen wir $Z$.
- Die Quantisierungsstufenzahl sei $M$, so dass jedes Quantisierungsintervall $μ$ bei der vorliegenden WDF die Breite $Δ = 1/M$ aufweist. Die Intervallmitten bezeichnen wir mit $x_μ$.
- Die Wahrscheinlichkeit $p_μ$ = Pr($Z$ = $z_μ$) bezüglich $Z$ ist gleich der Wahrscheinlichkeit, dass die kontinuierliche Zufallsgröße $X$ einen Wert zwischen $x_μ – Δ/2$ und $x_μ + Δ/2$ besitzt.
- Zunächst setzen wir $M$ = 2 und verdoppeln anschließend $M$ in jeder Iteration. Dadurch wird die Quantisierung zunehmend feiner. Im $n$–ten Versuch gilt dann $M$ = $2^n$ und $Δ$ = $2^{–n}$.
Die Grafik zeigt die Ergebnisse der ersten drei Versuche für eine dreieckförmige WDF (zwischen 0 und 1):
- $n = 1 ⇒ M = 2 ⇒ Δ = 1/2: H(Z) = 0.811$ bit,
- $n = 2 ⇒ M = 4 ⇒ Δ = 1/4: H(Z) = 1.749$ bit,
- $n = 3 ⇒ M = 8 ⇒ Δ = 1/8: H(Z) = 2.729$ bit.
Zudem können der Grafik noch folgende Größen entnommen werden, zum Beispiel für $Δ = 1/8$:
- Die Intervallmitten liegen bei $x_1 = 1/16, x_2 = 3/16, ... , x_8 = 15/16 ⇒ x_μ = Δ · (μ – 1/2)$.
- Die Intervallflächen ergeben sich zu $p_μ = Δ · f_X(x_μ) ⇒ p_8 = 1/8 · (7/8+1)/2 = 15/64$.
- Damit erhält man $P_Z(Z) = (1/64, 3/64, 5/64, 7/64, 9/64, 11/64, 13/64, 15/64)$.
Die Ergebnisse dieses Experiments interpretieren wir wie folgt:
- Die Entropie $H(Z)$ nimmt mit steigendem $M$ immer mehr zu.
- Der Grenzwert von $H(Z)$ für $M → ∞ ⇒ Δ → 0$ ist unendlich.
- Damit ist auch die Entropie $H(X)$ der wertkontinuierlichen Zufallsgröße $X$ unendlich groß.
- Daraus folgt: Die bisherige Entropie–Definition versagt hier.
Zur Verifizierung unseres empirischen Ergebnisses gehen wir von folgender Gleichung aus:
- Wir spalten nun $H(Z) = S_1 + S_2$ in zwei Summen auf:
Die Näherung $S_1 ≈ –\log_2 Δ$ gilt exakt nur im Grenzfall $Δ → 0$. Die angegebene Näherung für $S_2$ gilt ebenfalls nur für kleine $Δ → {\rm d}x$, so dass man die Summe durch das Integral ersetzen kann.
Verallgemeinerung: Nähert man die wertkontinuierliche Zufallsgröße $X$ mit der WDF $f_X(x)$ durch eine wertdiskrete Zufallsgröße $Z$ an, indem man eine (feine) Quantisierung mit der Intervallbreite $Δ$ durchführt, so erhält man für die Entropie der Zufallsgröße $Z$:
Das Integral beschreibt die differentielle Entropie $h(X)$ der wertkontinuierlichen Zufallsgröße $X$. Für den Sonderfall $Δ = 1/M = 2^{–n}$ kann die obige Gleichung auch wie folgt geschrieben werden:
- Im Grenzfall $Δ → 0 ⇒ M → ∞ ⇒ n → ∞$ ist auch die Entropie der wertkontinuierlichen Zufallsgröße unendlich groß: $H(X) → ∞$.
- Auch bei kleinerem $n$ stellt diese Gleichung lediglich eine Näherung für $H(Z)$ dar, wobei die differentielle Entropie $h(X)$ der wertkontinuierlichen Größe als Korrekturfaktor dient.
Wir betrachten wie im letzten Beispiel eine Dreieck–WDF (zwischen 0 und 1). Deren differentielle Entropie ergibt sich zu $h(X)$ = –0.279 bit – siehe Aufgabe A4.2. In der Tabelle ist die Entropie $H(Z)$ der mit $n$ Bit quantisierten Größe $Z$ angegeben. Man erkennt bereits für $n$ = 3 eine gute Übereinstimmung zwischen der Näherung (untere Zeile) und der exakten Berechnung.
Definition und Eigenschaften der differentiellen Entropie
Die differentielle Entropie $h(X)$ einer wertkontinuierlichen Zufallsgröße $X$ lautet mit der Wahrscheinlichkeitsdichtefunktion $f_X(x)$:
Hinzugefügt werden muss jeweils eine Pseudo–Einheit:
- „nat” bei Verwendung von „ln” ⇒ natürlicher Logarithmus,
- „bit” bei Verwendung von „log2” ⇒ Logarithmus dualis.
Während für die (herkömmliche) Entropie einer wertdiskreten Zufallsgröße $X$ stets $H(X) ≥ 0$ gilt, kann die differentielle Entropie $h(X)$ einer wertkontinuierlichen Zufallsgröße auch negativ sein. Daraus ist bereits ersichtlich, dass $h(X)$ im Gegensatz zu $H(X)$ nicht als „Unsicherheit” interpretiert werden kann.
Die Grafik zeigt die Wahrscheinlichkeitsdichte einer zwischen $x_{\rm min}$ und $x_{\rm max} gleichverteilten Zufallsgröße $X$. Für deren differentielle Entropie erhält man in „nat”: Die Gleichung für die differentielle Entropie in „bit” lautet: $h(X) = \log_2 [x_{\rm max} – x_{ \rm min}].
Die Grafik zeigt anhand einiger Beispiele die numerische Auswertung des obigen Ergebnisses. Auf der nächsten Seite wird auf die Größen $h_1(X), ... , h_6(X)$ näher eingegangen.
Aus den Skizzen des letzten Beispiels lassen sich wichtige Eigenschaften der differentiellen Entropie $h(X)$ ablesen:
- Die differentielle Entropie wird durch eine WDF–Verschiebung (um $k$) nicht verändert:
- $h(X)$ ändert sich durch Stauchung/Spreizung der WDF um den Faktor $k ≠ 0$ wie folgt:
Des Weiteren gelten viele der in Kapitel 3 für den wertdiskreten Fall hergeleitete Gleichungen auch für wertkontinuierliche Zufallsgrößen. Aus der folgenden Zusammenstellung erkennt man, dass oft nur das „$H$” durch ein „$h$” sowie die PMF durch die entsprechende WDF zu ersetzen ist.
- Bedingte differentielle Entropie (englisch: Conditional Differential Entropy):
- Differentielle Verbundentropie (englisch: Joint Differential Entropy):
- Kettenregel der differentiellen Entropie:
- Kullback–Leibler–Distanz zwischen den Zufallsgrößen $X$ und $Y$:
Differentielle Entropie einiger spitzenwertbegrenzter Zufallsgrößen
Die Tabelle zeigt die Ergebnisse für drei beispielhafte Wahrscheinlichkeitsdichtefunktionen $f_X(x)$. Diese sind alle spitzenwertbegrenzt, das heißt, es gilt jeweils $|X| ≤ A$.
Bei Spitzenwertbegrenzung kann man die differentielle Entropie stets wie folgt darstellen:
Das Argument $Γ_A · A$ ist unabhängig davon, welchen Logarithmus man verwendet. Anzufügen ist
- bei Verwendung von „ln” ist die Pseudo–Einheit „nat”,
- bei Verwendung von „log2” ist die Pseudo–Einheit „bit”.
Theorem: Unter der Nebenbedingung Spitzenwertbegrenzung (englisch: Peak Constraint) ⇒ also WDF $f_X(x) = 0$ für $|x| > A$ – führt die Gleichverteilung zur maximalen differentiellen Entropie:
Beweis
Das Theorem bedeutet gleichzeitig, dass bei jeder anderen spitzenwertbegrenzten WDF (außer der Gleichverteilung) der Kennparameter $Γ_A$ kleiner als 2 sein wird.
- Für die symmetrische Dreieckverteilung ergibt sich nach obiger Tabelle $Γ_A = e^{1/2} ≈ 1.649$.
- Beim einseitigen Dreieck (zwischen 0 und $A$) ist demgegenüber $Γ_A$ nur halb so groß.
- Auch für jedes andere Dreieck (Breite $A$, Spitze beliebig zwischen 0 und $A$) gilt $Γ_A ≈ 0.824$.
Die jeweils zweite $h(X)$–Angabe und die Kenngröße $Γ_L$ eignet sich dagegen für den Vergleich von Zufallsgrößen bei Leistungsbegrenzung – siehe nächste Seite. Unter dieser Nebenbedingung ist die symmetrische Dreieckverteilung $(Γ_L ≈ 16.31)$ besser als die Gleichverteilung $(Γ_L = 12)$.