ISDN–Primärmultiplexanschluss
Inhaltsverzeichnis
Allgemeine Beschreibung
Zunächst soll erklärt werden, wozu ein ISDN–Primärmultiplexanschluss gebraucht wird. Dieser wird nur als Anlagenanschluss (Punkt–zu–Punkt) angeboten. Dies besagt, dass man nur ein Gerät an den Netzabschluss anschließen kann, nämlich eine Telekommunikationsanlage, im Folgenden mit TK–Anlage abgekürzt.
Die Gründe für die Verwendung eines Anlagenanschlusses sind vielfältig:
- Firmen, Behörden oder Krankenhäuser brauchen häufig eine Zentralrufnummer und einen Block von Durchwahlnummern. Meistens ist die Durchwahlnummer der Zentrale die „0”.
- Die Zentralrufnummer ist 3– bis 5–stellig, eine Durchwahlnummer danach ist 2– bis 5–stellig. Dies erlaubt die direkte Anwahlmöglichkeit eines Gesprächspartners von außen.
- Das Telefonieren zwischen Mitarbeitern – also eine interne Verbindung – ist kostenlos.
Betrachten wir einen Betrieb in München, dessen Zentrale von außen über „089/4711 – 0” und intern mit „0” zu erreichen ist. Der Mitarbeiter X ist von außerhalb kostenpflichtig unter der Durchwahl „089/4711 – 432” zu erreichen und intern ohne Gebühren unter „432”.
Die folgende Grafik zeigt einen solchen Primärmultiplexanschluss.
Auch mit einem Basisanschluss gemäß Kapitel 1.2 kann ein solcher Anlagenanschluss als Punkt–zu–Punkt–Verbindung realisiert werden:
- Ein Basisanschluss mit einem NTBA ( $\rm U_{K0}$–Schnittstelle ) bietet zwei Nutzkanäle (B1 und B2). Damit sind gleichzeitig zwei externe und maximal vier interne Gespräche möglich.
- Ist dies nicht ausreichend, so kann über zwei oder mehr parallele $\rm U_{K0}$–Schnittstellen eine Telefonanlage angeschlossen werden. Bei $N$ Anschlussleitungen können dann gleichzeitig maximal 2N externe Gespräche geführt werden.
- Dies macht allerdings nur bei kleineren Firmen Sinn, nämlich dann, wenn man mit bis zu acht Basisanschlüssen auskommt. Bei größerem Bedarf an Leitungen (oder an gleichzeitig geführten Gesprächen) ist der Primärmultiplexanschluss kostengünstiger.
Mittlere und größere Firmen arbeiten meist mit einem Primärmultiplexanschluss (PMxAs), an dem die Telekommunikations– bzw. Datenverarbeitungsanlage durch eine Vierdrahtleitung angeschlossen wird. Die englische Bezeichnung für einen solchen Anschluss ist Primary Rate Interface (PRI).
Der Primärmultiplexanschluss bietet:
- 30 vollduplexfähige Basiskanäle mit jeweils 64 kbit/s,
- einen Signalisierungskanal (D) mit 64 kbit/s, und
- einen Synchronisationskanal (ebenfalls mit 64 kbit/s).
Somit ergibt sich die Brutto–Datenrate zu 32 · 64 kbit/s = 2048 kbit/s. Es folgen noch einige allgemeine Angaben zum Primärmultiplexanschluss (siehe Grafik):
- Die Realisierung der 30 Nutzkanäle erfolgt mit dem Multiplexsystem „PCM–30”. Im Gegensatz zum Basisanschluss ist hier nur eine Punkt–zu–Punkt–Verbindung möglich. Das heißt, dass eine zweite Anlage nicht an die gleiche Leitung angeschlossen werden kann wie bei einem Bus.
- Die Telefonanlage wird über das Netzabschlussgerät NTPM (Network Termination for Primary Rate Multiplex Access) an die örtliche Vermittlungsstelle angeschlossen.
- Dieser Anschluss ist vierdrahtig, so dass die beiden Übertragungsrichtungen getrennt sind. Somit sind im NTPM und in der Ortsvermittlung keine Richtungstrennungsverfahren (Gabelschaltung, Echo–Kompensation, usw.) erforderlich.
- Man bezeichnet den Referenzpunkt U (zwischen Netzabschluss und Ortsvermittlungsstelle) beim Primärmultiplexanschluss mit UK2, wenn ein Kupferkabel (K) verwendet wird; die 2 steht für die Übertragungsrate 2 Mbit/s. Bei einem Glasfaseranschluss nennt man diesen Punkt UG2.
- Entsprechend wird die Verbindung zwischen dem Netzabschluss und der TK–Anlage allgemein als die S2M–Schnittstelle bezeichnet. Technisch besteht allerdings kein großer Unterschied zwischen der $\rm U_{K2}$– und der $\rm S_{2M}$–Schnittstelle.
Rahmenstruktur von S2M– und UK2–Schnittstelle
Die $\rm S_{2M}$–Schnittstelle stellt die Verbindung zwischen Telekommunikationsanlage und Netzabschluss (NTPM) dar, die mit zwei Kupferdoppeladern realisiert wird. Da hier nur ein Punkt–zu–Punkt–Betrieb möglich ist, ist die $\rm S_{2M}$–Schnittstelle nicht als Bus ausgelegt wie die $\rm S_{0}$–Schnittstelle beim Basisanschluss, und daher ist hier auch kein Kollisionserkennungsverfahren erforderlich.
Die Grafik zeigt die Rahmenstruktur der $\rm S_{2M}$–Schnittstelle. Man erkennt:
- Im Zeitmultiplex wird alle 125 Mikrosekunden ein TDMA–Rahmen übertragen. Jeder der 32 Kanäle belegt den TDMA–Rahmen aber nur für die Dauer von 125 µs/32 = 3.906 µs.
- Pro Kanal und TDMA–Rahmen werden acht Bit übertragen; die Bitdauer ist $T_\text{B}$ = 3.906 µs/8 = 0.488 µs. Deren Kehrwert ergibt die Brutto–Datenrate $R_\text{B}$ = 2.048 Mbit/s.
- Die Kanäle 1 bis 15 sowie 17 bis 31 stellen die Nutzkanäle (B–Kanäle) dar, die alle mit 64 kbit/s unabhängig voneinander betrieben werden. Der Kanal 16 (D–Kanal, in der Grafik rot markiert) sorgt für die Steuerung dieser B–Kanäle und der gesamten Telefonanlage.
- Der Kanal 0 (Synchronisationskanal, blau markiert) dient bei ungeradem Rahmen (mit Nummer 1, 3, 5, ...) zur Rahmenerkennung, während die geraden Rahmen (2, 4, 6, ...) für Wartungszwecke und für die Fehlerbehandlung genutzt werden. Beides geschieht mit Hilfe des CRC4–Verfahrens, das auf der nächsten Seite genauer beschrieben wird.
Die $\rm U_{K2}$–Schnittstelle weist genau die gleichen Eigenschaften wie die $\rm S_{2M}$–Schnittstelle auf und besitzt damit auch die genau gleiche Rahmenstruktur.
Rahmensynchronisation
Die Synchronisation ist beim Primärmultiplexanschluss jeweils im Synchronisierungskanal (Kanal 0) eines Rahmens realisiert. Man verwendet dafür den Cyclic Redundancy Check (CRC4), der in aller Kürze wie folgt dargestellt werden kann:
- Der Kanal 0 eines jeden ungeraden Zeitrahmens (Nummer 1, 3, ... , 15) überträgt das so genannte Rahmenkennwort (RKW), während jeder gerade Rahmen (Nummer 2, 4, ... , 16) von Kanal 0 das Meldewort (MW) beinhaltet.
- Anhand des Rahmenkennworts mit dem festen Bitmuster X001 1011 wird die Synchronisation zwischen der Sende– und der Empfangsrichtung hergestellt. Das erste Bit X ∈ {0, 1} wird dabei durch das CRC4–Verfahren bestimmt.
- Das Meldewort lautet X1DN YYYY. Über das D–Bit und N–Bit werden Fehlermeldungen signalisiert. Die vier Y–Bits sind für Service–Funktionen reserviert. Das X–Bit wird wieder durch das CRC4–Verfahren gewonnen.
- Man benötigt für das CRC4–Verfahren 16 X–Bits ⇒ 16 aufeinander folgende Pulsrahmen, die in zwei Mehrfachrahmen aufgeteilt werden. Die Länge eines Mehrfachrahmens ist deshalb 8 · 256 Bit = 2048 Bit und die Zeitdauer beträgt 8 · 125 µs = 1 ms.
- Die CRC4–Prüfsumme wird als Folge von 4 Bit (C0 bis C3) in jedem Mehrfachrahmen gebildet und liefert das jeweils erste Bit (X) für vier aufeinander folgende Rahmenkennworte.
Die Tabelle zeigt die jeweilige Rahmenbelegung des Synchronisierungskanals 0 für einen Zyklus des CRC4–Verfahrens.
Die Vorgehensweise beim CRC4–Verfahren soll an einem Beispiel erklärt werden, wobei vom Generatorpolynom $D^4 + D^1 + 1$ ausgegangen wird. In der Binärdarstellung lautet dieses: 10011. Die Grafik zeigt die Gewinnung der CRC4–Prüfsumme (links) und deren Auswertung beim Empfänger (rechts).
Man erkennt:
- Die CRC4–Prüfsumme am Sender ergibt sich als der Rest der Division eines Datenblocks mit insgesamt 12 Bit (8 Nutzbit, im Beispiel 1000 1100, an die 0000 angehängt wird) durch das Generatorpolynom in Binärdarstellung (10011). In Polynomschreibweise ergibt sich der Rest der Division ( $D^{11} + D^7 + D^6$ ) : ( $D^4 + D + 1$ ) zu $R(D) = D^3 + 1$.
- Die Division wird durch eine Modulo–2–Addition (bitweise XOR–Verknüpfung) realisiert. Im Beispiel liefert die Division den Rest 1001. Diese vier Bit (C0, ... , C3) der CRC–Prüfsumme werden dann in verschiedenen Rahmen des Synchronisierungskanals zum Empfänger übertragen (siehe Rahmenbelegung auf der letzten Seite).
- Nachdem der Empfänger diese 12 Bit (Datenblock und CRC4–Prüfsumme) empfangen hat, teilt dieser dieses 12–stellige Binärwort ebenfalls durch das Generatorpolynom. Im Beispiel ergibt diese Division 1000 1100 1001 geteilt durch 10011 den Rest 0. Dieses Ergebnis zeigt an, dass keine Übertragungsfehler aufgetreten sind.
- Ist der Divisionsrest ungleich 0, so weist das Ergebnis auf einen Übertragungsfehler hin. In diesem Fall müssen die Daten beim Sender nochmals angefordert werden.
Nachrichtentechnische Aspekte
Beim ISDN–Primärmultiplexanschluss wird auf der $\rm S_{2M}$– und auch auf der $\rm U_{K2}$–Schnittstelle jeweils der so genannte HDB3–Leitungscode (High Density Bipolar 3ary) verwendet. Gegenüber dem modifizierten AMI–Code auf der $\rm S_{0}$–Schnittstelle des Basisanschlusses
- wird das Auftreten von langen Nullfolgen vermieden und dadurch
- dem Empfänger eine sicherere Taktrückgewinnung und Synchronisation ermöglicht.
Die HDB3–Leitungscodierung funktioniert wie folgt:
- Wie beim AMI–Code wird jeder binären „0” der Signalpegel 0 V zugeordnet, während die binäre „1” alternierend durch die Werte $+s_0$ bzw. $–s_0$ dargestellt wird.
- Treten im AMI–codierten Signal vier aufeinander folgende „0”–Bits auf, so werden diese durch eine Folge von vier anderen Bits ersetzt, welche die AMI–Codierregel verletzen.
- Ist wie in obiger Grafik die Anzahl der Einsen gerade oder 0 und der letzte Puls vor diesen vier Bits negativ (bzw. positiv), so wird „0 0 0 0” durch „+ 0 0 +” (bzw. „– 0 0 –”) ersetzt.
- Bei ungerader Anzahl von Einsen vor diesem „0 0 0 0”–Block würden dagegen „0 0 0 +” (falls letzter Puls positiv) oder „0 0 0 –” (falls letzter Puls negativ) als Ersetzungen gewählt.
- In allen vier Fällen kann der Decoder die Verletzung der AMI–Regel erkennen und diesen Block wieder durch „0 0 0 0” ersetzen. Die Gleichstromfreiheit bleibt durch diese Maßnahmen erhalten.