Weiterentwicklungen des GSM
Inhaltsverzeichnis
Die verschiedenen Generationen des GSM
GSM wurde ursprünglich als ein paneuropäisches Mobilfunknetz konzipiert und entwickelt, vor allem für Telefongespräche und Fax. Die Datenübertragung bei konstanter niedriger Datenrate war sekundär. Der GSM–Standard wurde nach der Darstellung in verschiedenen Phasen weiter entwickelt. So wurden neue Dienste ermöglicht.
Die Grafik aus [1] zeigt die Weiterentwicklungen von GSM:
- Das in den Kapiteln 3.1 bis 3.4 beschriebene GSM-System beschränkt sich auf die beiden ersten Generationen. Die Phase 1 beinhaltet grundlegende Teledienste und einige wenige Zusatzdienste, die zur Markteinführung von GSM im Jahr 1991 verbindlich von allen damaligen Netzbetreibern angeboten werden konnten.
- Die Standardisierung der Phase 2 in den Jahren von 1995 bis 1997 beinhaltete bereits die ersten Weiterentwicklungen des GSM–Standards. Dadurch wurden die von ISDN her bekannten Zusatzdienste für GSM schrittweise verfügbar gemacht und um einige neue Leistungsmerkmale ergänzt, so etwa Anklopfen (Call Waiting) oder Halten (Hold).
- In den Jahren 1997–2000 wurden neue Datendienste mit höherer Datenrate entwickelt, wie zum Beispiel
– High Speed Circuit–Switched Data (HSCSD), – General Packet Radio Service (GPRS), und – Enhanced Data Rates für GSM Evolution (EDGE). Diese neuen Datendienste werden der Phase 2+ (oder Generation 2.5) zugerechnet und sind in der Grafik grün hinterlegt.
- Zur dritten Mobilfunkgeneration gehört Universal Mobile Telecommunications System (UMTS). Dieser Standard ermöglicht deutlich höhere Datenübertragungsraten, als dies mit dem GSM–Standard möglich ist. Er wird im Kapitel 4 dieses Buches eingehend behandelt. In der Grafik ist dieses System der dritten Generation rot hinterlegt.
Die Themen der Phase 2+ betreffen fast alle Aspekte von GSM, von der Funkübertragung bis hin zur Verbindungssteuerung. Die damit möglichen neuen Datendienste werden auf den folgenden Seiten näher erklärt.
High Speed Circuit–Switched Data (HSCSD)
Durch den 1999 eingeführten GSM–Datenübertragungsstandard High Speed Circuit–Switched Data (HSCSD) kann durch eine verbesserte Kanalcodierung die Nutzdatenrate pro Verbindung von 9.6 kbit/s auf 14.4 kbit/s erhöht werden, wenn es die Übertragungsbedingungen erlauben. Durch die Bündelung mehrerer benachbarter Zeitschlitze kann die Datenrate noch weiter gesteigert werden. Die Datenrate ist davon abhängig, wie viele Kanäle der Netzbetreiber für die Bündelung zur Verfügung stellt bzw. wie viele Kanäle das HSCSD–Handy verarbeiten kann.
Die Grafik erklärt das Prinzip der Bündelung mehrerer Zeitschlitze:
- Jeder der 8 physikalischen Kanäle (Zeitschlitze) eines Rahmens bietet maximal 14.4 kbit/s für die Datenkommunikation. HSCSD ermöglicht eine Kanalbündelung durch die Kombination mehrerer Zeitschlitze, die auch bei ISDN verwendet wird. Man spricht in diesem Zusammenhang von Multislot Capability.
- Durch das Zusammenschalten aller acht Kanäle ergäben sich somit 8 · 14.4 kbit/s = 115.2 kbit/s. Da jedoch die Verbindung zwischen dem Base Station Controller (BSC) und dem Mobile Switching Center (MSC) auf 64 kbit/s begrenzt ist, beschränkt man sich auf die Bündelung von vier Zeitschlitzen, woraus sich die maximale Übertragungsrate zu 57.6 kbit/s ergibt.
- Ein Vorteil der HSCSD–Technik gegenüber dem paketorientierten GPRS (siehe nächste Seite) ist die leitungsorientierte Datenübertragung. Dies ist insbesondere für Anwendungen von Vorteil, die gleichmäßige Bandbreiten benötigen, da der Übertragungskanal mit niemandem geteilt werden muss. Beispiele hierfür sind die Video– und die Bildübertragung.
- Nachteilig sind allerdings die höheren Übertragungskosten durch die Belegung mehrerer Kanäle. Diese Kanäle stehen somit für andere Mobilfunkteilnehmer nicht mehr zu Verfügung. In einer Funkzelle mit hoher Kanalauslastung kann es deshalb passieren, dass die Bündelung mehrerer Kanäle vom Netzbetreiber unterbunden wird.
General Packet Radio Service (GPRS)
Mit der GSM–Erweiterung General Packet Radio Service (GPRS) wurde 2000 erstmals eine paketorientierte Datenübertragung ermöglicht. GPRS unterstützt sehr viele Protokolle (Internet Protocol, X.25, Datex–P, usw.) und erlaubt dem Mobilfunkteilnehmer, mit fremden Datennetzen (Internet oder firmeninternen Intranets) zu kommunizieren. GPRS war ein wichtiger Zwischenschritt in der Evolution der zellularen Mobilfunknetze in Richtung dritter Generation und mobiles Internet.
Ein GPRS–Benutzer profitiert von kürzeren Zugriffzeiten und der höheren Datenrate (bis 21.4 kbit/s) gegenüber dem herkömmlichen GSM (9.6 kbit/s) und HSCSD (14.4 kbit/s). Die Gebühren ergeben sich bei GPRS nicht aus der Verbindungsdauer, sondern aus der tatsächlich übertragenen Datenmenge. Deshalb muss nicht (wie bei HSCSD) ein Funkkanal dauerhaft für einen Benutzer reserviert werden.
Zur Einführung von GPRS waren einige Modifikationen und Ergänzungen im GSM–Netz notwendig, die in der Grafik „GPRS–Systemarchitektur” aus [2] zusammengefasst sind. Blaue Linien beschreiben Nutz– und Signalisierungsdaten und die orange–gepunkteten Verbindungen Signalisierungsdaten.
Die zusätzlichen GPRS–Komponenten – durch rote Kreise hervorgehoben – werden kurz erklärt: Zur Integration von GPRS in die bestehende GSM–Systemarchitektur wird diese um eine neue Klasse von Netzknoten erweitert. Diese GPRS Support Nodes (GSN) sind für die Übertragung und die Verkehrslenkung (Routing) der Datenpakete zwischen den Mobilstationen und den externen paketvermittelten Datennetzen verantwortlich. Hierbei unterscheidet man zwischen SGSN und GGSN, die miteinander über ein IP–basiertes GPRS–Backbone–Netz kommunizieren.
- Der Serving GPRS Support Node (SGSN) ist für das Mobilitätsmanagement zuständig und übernimmt für die Paketdatendienste eine ähnliche Funktion wie das Mobile Switching Center (MSC) für die verbindungsorientierten Sprachsignale.
- Der Gateway GPRS Support Node (GGSN) ist die Schnittstelle zu fremden paketorientierten Datennetzen. Er konvertiert die vom SGSN kommenden GPRS–Pakete in das entsprechende Protokoll (IP, X.25, ...) und sendet diese an das Packet Data Network (PDN) aus.
Gb, Gc, Gd, usw. geben Schnittstellen von GPRS an. So bezeichnet Gd die Schnittstelle zwischen SGSN und SMS–GMSC, die zum Austausch von SMS–Nachrichten erforderlich ist.
GPRS–Luftschnittstelle
Ein GPRS–Handy führt beim Einschalten als erstes die Prozedur „Cell Selection” durch, indem es nach einem Frequenzkanal mit GPRS–Daten sucht. Wurde ein solcher Kanal gefunden, so muss je nach Handyklasse das Handy manuell auf GPRS–Dienste eingestellt werden oder es kann automatisch und dynamisch zwischen GPRS und GSM umschalten. Man unterscheidet:
- Geräte der Klasse A können GPRS–Datendienste und GSM–Übertragungsdienste gleichzeitig übernehmen; die Kanalressourcen werden parallel paket– und durchschaltevermittelt überwacht.
- Bei Klasse B werden die Signalisierungskanäle von GSM und GPRS gleichzeitig überwacht, solange kein Dienst durchgestellt ist. Der parallele GSM/GPRS–Betrieb ist aber nicht möglich.
- In der Klasse C muss sich der Teilnehmer vorher entscheiden, ob er das Handy für GSM oder GPRS nutzen möchte, da Signalisierungskanäle nicht mehr simultan überwacht werden können.
Um die GSM–Funkschnittstelle auf den paketorientierten GPRS–Betrieb umstellen zu können, mussten die logischen Kanäle erweitert werden. Logische GPRS–Kanäle erkennt man an einem vorangestellten „P”, das die paketorientierte Betriebsart indiziert. Fast für alle logischen GSM–Kanäle gibt es das entsprechende GPRS–Äquivalent:
- Der Packet Data Traffic Channel (PDTCH) wird bei GPRS als Verkehrskanal für den Nutzdatentransfer verwendet. Der entsprechende GSM–Kanal heißt TCH.
- Die Signalisierungskanäle werden wie bei GSM in den Packet Broadcast Control Channel (PBCCH), den Packet Common Control Channel (PCCCH) und den Packet Dedicated Control Channel (PDCCH) unterteilt.
GPRS ermöglicht den Teilnehmern, Daten mit öffentlichen Datennetzen auszutauschen und verwendet dazu wie GSM die GMSK-Modulation und die FDMA/TDMA–Kombination mit acht Zeitschlitzen pro TDMA-Rahmen. Es ergeben sich folgende Unterschiede:
- Im GSM–Standard wird jeder aktiven Mobilstation genau ein Zeitschlitz eines TDMA–Rahmens zugewiesen. Dieser physikalische Kanal ist für die gesamte Dauer eines Rufes sowohl im Uplink als auch im Downlink für die Mobilstation reserviert.
- Bei GPRS können zur Ratensteigerung bis zu acht Zeitschlitze miteinander kombiniert werden. Außerdem werden Up– und Downlink separat zugewiesen. Die physikalischen Kanäle werden nur für die Dauer der Übertragung von Datenpaketen reserviert und anschließend wieder frei gegeben.
GPRS–Kanalcodierung
Im Gegensatz zum herkömmlichen GSM (mit der Datenrate 9.6 kbit/s) sind bei GPRS vier mögliche Codierschemata definiert, die je nach Empfangsqualität genutzt werden können:
- Codierschema 1 (CS–1) mit 9.05 kbit/s (181 Bit pro 20 ms),
- Codierschema 2 (CS–2) mit 13.4 kbit/s (268 Bit pro 20 ms),
- Codierschema 3 (CS–3) mit 15.6 kbit/s (312 Bit pro 20 ms),
- Codierschema 4 (CS–4) mit 21.4 kbit/s (428 Bit pro 20 ms).
Die kleinstmögliche Datenrate ist somit 9.05 kbit/s (CS–1, ein Zeitschlitz), die maximale beträgt 171.2 kbit/s (CS–4, acht Zeitschlitze). Diese theoretische Geschwindigkeit wird in der Praxis jedoch nicht erreicht, da die meisten aktuellen GPRS–Handys nur maximal eine Netto–Datenrate von 13.4 kbit/s (Codierschema 2) unterstützen. Bei der Kombination von vier Zeitschlitzen, wie es in deutschen Netzen üblich ist, kommt man somit auf eine maximale Datenrate von 53.6 kbit/s.
Die Grafik und die nachfolgenden Erklärungen beziehen sich auf das Codierschema 2 und damit auf die Netto–Datenrate 13.4 kbit/s.
- Die 268 Informationsbits werden zunächst durch sechs vorcodierte Bits des Uplink State Flags (USF), 16 Paritätsbits der so genannten Block Check Sequence (BCS) und vier Tailbits („0000”) ergänzt. Letztere sind für die Terminierung der Faltungscodes notwendig.
- Zur Kanalcodierung wird der von GSM bekannte Faltungscode der Coderate RC = 1/2 benutzt. Durch diesen werden die insgesamt 294 Bits auf 588 Bits verdoppelt und somit ausreichend gegen Übertragungsfehler geschützt.
- Anschließend werden 132 Bits der resultierenden 588 Bit punktiert, so dass daraus schließlich ein Codewort der Länge 456 Bit (Bitrate 22.8 kbit/s) resultiert. Damit ergibt sich eine resultierende Coderate (von Faltungscoder inklusive Punktierung) von 294/456 ≈ 65%.
- Nach der Kanalcodierung werden die Codewörter einem Blockinterleaver der Tiefe 4 zugeführt. Das Interleavingschema ist für alle vier Codierschemata identisch.
Enhanced Data Rates for GSM Evolution
Die letzte GSM–Erweiterung Enhanced Data Rates for GSM–Evolution (EDGE) mit dem Ziel, die Datenübertragungsrate in GSM-Mobilfunknetzen zu erhöhen, benutzt neben Gaussian Minimum Shift Keying (GMSK) als zusätzliches Modulationsverfahren 8–Phase Shift Keying (8–PSK). Bei diesem gibt es acht verschiedene Symbole (bei GMSK nur zwei), die sich durch unterschiedliche Phasenlagen bei Vielfachen von 45° unterscheiden. Das bedeutet, dass mit jedem Symbol drei Datenbits übertragen werden können, wodurch die Datenrate im Vergleich zu GPRS um den Faktor 3 gesteigert wird.
Mit der Definition von EDGE wird HSCSD zu „Enhanced Circuit Switched Data” (E–CSD) und GPRS zu „Enhanced–GPRS” (E–GPRS). T–mobile ist allerdings der einzige deutsche Netzbetreiber, der derzeit (2007) EDGE in seinem Netz anbietet.
Die Grafik zeigt den Normal Burst von EDGE bzw. E–GPRS. Man erkennt folgende Unterschiede zum GSM–Normal Burst:
- Der Normal Burst besteht bei EDGE aus 468.75 Bit anstelle der 156.25 Bit bei GSM, woraus die Verdreifachung der Datenrate ersichtlich ist.
- Wie bei GSM gibt es zwei Stealing Flags. Tailbits, Trainingssequenz und Guard Period werden jeweils verdreifacht. Damit verbleiben für das Datenfeld 57 · 3 + 2 = 173 Bit.
- Somit werden bei E–GPRS im Normal Burst 346 Bit kanalcodierte Daten (Coderate 1/2) pro 576.9 μs übertragen, was einer Netto–Datenrate von ca. 60 kbit/s entspricht.
Bei E–GPRS gibt es neun vom Betreiber auswählbare Modulation and Coding Schemes (MCS), die von den verwendeten Kanalcodier– und Modulationsverfahren abhängen.
Die Tabelle zeigt die möglichen Schemata von E–GPRS. Daraus ist zu erkennen:
- Die ersten vier Schemata verwenden wie GSM/GPRS das Modulationsverfahren GMSK mit einem bit Information pro Kanalzugriff, während bei MCS–5, ... , MCS–9 eine achtstufige Phasenmodulation (8–PSK) benutzt wird und damit 3 bit/Symbol übertragen werden.
- Je kleiner die Coderate, desto größer ist die zugesetzte Redundanz und damit die Datensicherheit. Insbesondere zwischen MCS–4 ( $R_{\rm C}$ = 1 ) und MCS–5 ( $R_{\rm C}$ = 0.37 ) nimmt die Coderate wegen der günstigeren Modulationsart trotz höherer Netto–Datenrate signifikant ab (siehe letzte Spalte).
- Der aufwändigste Modus MCS–9 bietet gemäß der Tabelle eine Datenrate von 59.2 kbit/s und erlaubt theoretisch die gleichzeitige Belegung von acht Zeitschlitzen, was eine maximale Netto–Datenrate von 473.6 kbit/s bedeuten würde. Allerdings ist dieser Modus (mit $R_{\rm C}$ = 1) nur bei extrem guten Bedingungen anwendbar und acht Zeitschlitze stehen auch nur selten zur Verfügung.
- Mit MCS–8 und sieben Zeitschlitzen kann man immerhin schon 380.8 kbit/s erreichen und ist damit in der Größenordnung von Universal Mobile Telecommunications System (UMTS), dem bekanntesten Standard der dritten Mobilfunkgeneration, der 384 kbit/s anbietet.
- EDGE verwendet die gleichen Frequenzen wie GSM, weshalb diese Technik besonders für Betreiber mit bestehender GSM–Infrastruktur interessant ist, die im Jahr 2000 keine der teueren UMTS–Lizenzen erworben haben und trotzdem eine ausreichend hohe Datenrate anbieten wollen.
Das System UMTS wird im nachfolgenden Kapitel 4 eingehend beschrieben.
Aufgabe zu Kapitel 3.5
Quellenverzeichnis
- ↑ Eberspächer, J.; Vögel, H.J.; Bettstetter, C.: Global System for Mobile Communication. 3. Auflage. Stuttgart: Teubner, 2001.
- ↑ Bettstetter, C.; Vögel, H.J.; Eberspächer, J.: GSM Phase 2+ General Packet Radio Service GPRS: Architecture, Protocols, and Air Interface. In: IEEE Communications Surveys & Tutorials, Vol. 2 (1999) No. 3, S. 2-14.