4.1:WDF, VTF und Wahrscheinlichkeit
Zur Wiederholung einiger wichtiger Grundlagen aus dem Buch stochastischen Signaltheorie beschäftigen wir uns mit
- der Wahrscheinlichkeitsdichtefunktion (WDF),
- der Verteilungsfunktion (VTF).
Die obere Darstellung zeigt die Verteilungsfunktion $F_X(x)$ einer wertdiskreten Zufallsgröße X. Die zugehörige WDF $f_X(x)$ ist in der Teilaufgabe (a) zu bestimmen. Die Gleichung $$ {\rm Pr}(A < X \le B) \hspace{-0.15cm} = \hspace{-0.15cm} F_X(B) - F_X(A) = $$ $$ =\hspace{-0.15cm} \lim_{\varepsilon \hspace{0.05cm}\rightarrow \hspace{0.05cm}0} \int\limits_{A+\varepsilon}^{B+\varepsilon} \hspace{-0.15cm} f_X(x) \hspace{0.1cm}{\rm d}x $$
stellt zwei Möglichkeiten dar, um die Wahrscheinlichkeit für das Ereignis „Die Zufallsgröße X liegt in einem Intervall” aus der VTF bzw. der WDF zu berechnen.
Die untere Grafik zeigt die Wahrscheinlichkeitsdichtefunktion $$ f_Y(y) = \left\{ \begin{array}{c} \hspace{0.1cm}1/2 \cdot \cos^2(\pi/4 \cdot y) \\ \hspace{0.1cm} 0 \\ \end{array} \right.\quad \begin{array}{*{20}c} {\rm{f\ddot{u}r}} \\ {\rm{f\ddot{u}r}} \\ \end{array}\begin{array}{*{20}l} | y| \le 2, \\ y < -2 \hspace{0.1cm}{\rm und}\hspace{0.1cm}y > +2 \\ \end{array}$$ einer wertkontinuierlichen Zufallsgröße Y, die auf den Bereich |Y| ≤ 2 begrenzt ist.
Prinzipiell besteht bei der kontinuierlichen Zufallsgröße Y der gleiche Zusammenhang zwischen WDF, VTF und Wahrscheinlichkeiten wie bei einer diskreten Zufallsgröße. Sie werden trotzdem einige Detailunterschiede feststellen. Beispielsweise kann bei der kontinuierlichen Zufallsgröße Y in obiger Gleichung auf den Grenzübergang verzichtet werden, und man erhält vereinfacht: $${\rm Pr}(A \le Y \le B) = F_Y(B) - F_Y(A) =\int_{A}^{B} \hspace{-0.01cm} f_Y(y) \hspace{0.1cm}{\rm d}y\hspace{0.05cm}$$.
Hinweis: Die Aufgabe dient zur Vorbereitung der in Kapitel 4.1 dargelegten Thematik. Nützliche Hinweise zur Lösung dieser Aufgabe und weitere Informationen zu den wertkontinuierlichen Zufallsgrößen finden Sie im Kapitel 3 des Buches „Stochastische Signaltheorie”. Gegeben ist zudem das folgende unbstimmte Integral: $$\int \hspace{0.1cm} \cos^2(A \eta) \hspace{0.1cm}{\rm d}\eta = \frac{\eta}{2} + \frac{1}{4A} \cdot \sin(2A \eta)$$.
Fragebogen
Musterlösung
a) Die Verteilungsfunktion (VTF) FX(x) ergibt sich aus der Wahrscheinlichkeitsdichtefunktion fX(x) durch Integration über die (umbenannte) Zufallsgröße im Bereich von –∞ bis x. Die Umkehrung lautet: Ist die VTF gegeben, so erhält man die WDF durch Differentiation. Die vorgegebene VTF beinhaltet fünf Unstetigkeitsstellen, die nach der Differentiation zu fünf Diracfunktionen führen: $$f_X(x) \hspace{-0.15cm} = \hspace{-0.15cm} 0.1 \cdot {\rm \delta}( x+2) + 0.2 \cdot {\rm \delta}( x+1) $$ $$\ + \hspace{-0.15cm} 0.4 \cdot {\rm \delta}( x) + 0.2 \cdot {\rm \delta}( x-1) $$ $$\ +\hspace{-0.15cm} 0.1 \cdot {\rm \delta}( x-2)\hspace{0.05cm}.$$ Die Diracgewichte geben die Auftrittswahrscheinlichkeiten der Zufallsgröße X = {–2, –1, 0, +1, +2} an, zum Beispiel: $${\rm Pr}(X = 0) \hspace{-0.15cm} = \hspace{-0.15cm} F_X(x \hspace{0.05cm}\rightarrow\hspace{0.05cm}0^{+}) - F_X(x \hspace{0.05cm}\rightarrow\hspace{0.05cm}0^{-})$$ $$=\ \hspace{-0.15cm} 0.7 - 0.3 = 0.4\hspace{0.05cm}.$$ Dementsprechend lauten die weiteren Wahrscheinlichkeiten: $${\rm Pr}(X = +1) = {\rm Pr}(X = -1) = 0.2\hspace{0.05cm},\hspace{0.3cm} {\rm Pr}(X = +2) = {\rm Pr}(X = -2) = 0.1\hspace{0.05cm}.$$ Richtig sind somit die Lösungsvorschläge 1 und 2.
b) Aus der eben berechneten WDF erhält man: $${\rm Pr}(X >0) \hspace{-0.15cm} = \hspace{-0.15cm} {\rm Pr}(X = +1) + {\rm Pr}(X = +2) \hspace{0.15cm}\underline {= 0.3}\hspace{0.05cm},$$ $$\ {\rm Pr}(|X| \le 1) \hspace{-0.15cm} = \hspace{-0.15cm} {\rm Pr}(X = -1) + {\rm Pr}(X = 0) + {\rm Pr}(X = +1) = 0.2 + 0.4 +0.2 \hspace{0.15cm}\underline {= 0.8}\hspace{0.05cm}.$$
Zum gleichen Ergebnis kommt man über die Verteilungsfunktion. Hier lautet die allgemeine Gleichung, die für wertdiskrete und wertkontinuierliche Zufallsgrößen gleichermaßen gilt: $${\rm Pr}(A < X \le B) =F_X(B) - F_X(A) \hspace{0.05cm}.$$
- Mit A = 0 und B = +2 erhält man somit:
$${\rm Pr}(0 < X \le +2) = {\rm Pr}(X >0)= F_X(+2) - F_X(0) = 1 - 0.7 \hspace{0.15cm}\underline {= 0.3} \hspace{0.05cm}.$$
- Setzt man A = –2 und B = +1, so ergibt sich:
$${\rm Pr}(-2 < X \le +1) = {\rm Pr}(|X| \le 1)= F_X(+1) - F_X(-2) = 0.9 - 0.1 \hspace{0.15cm}\underline {= 0.8} \hspace{0.05cm}.$$
c) Die Verteilungsfunktion FY(y) ergibt sich aus der (umbenannten) WDF fY(η) durch Integration von <nobr>–∞ bis y</nobr>. Aufgrund der Symmetrie kann hierfür im Bereich 0 ≤ y ≤ 2 geschrieben werden: $$F_Y(y) = \int_{-\infty}^{\hspace{0.05cm}y} \hspace{-0.1cm}f_Y(\eta) \hspace{0.1cm}{\rm d}\eta =\frac{1}{2}+\int_{0}^{\hspace{0.05cm}y} \hspace{-0.1cm}f_Y(\eta) \hspace{0.1cm}{\rm d}\eta.$$ $$\Rightarrow \hspace{0.3cm}F_Y(y) = \frac{1}{2}+\int_{0}^{\hspace{0.05cm}y} \hspace{0.1cm}\frac{1}{2} \cdot \cos^2(\frac{\pi}{4} \cdot \eta) \hspace{0.1cm}{\rm d}\eta = \frac{1}{2}+\frac{y}{4} + \frac{1}{2\pi} \cdot \sin(\frac{\pi}{2} \cdot y).$$
Die Gleichung gilt im gesamten Bereich –2 ≤ y ≤ +2. Die gesuchten VTF–Werte sind damit:
- FY(y = 0) = 0.5 (Integral über die halbe WDF)
- FY(y = 2) = 1 (Integral über die gesamte WDF)
- FY(y = 1) = 3/4 + 1/(2 π) ≈ 0.909 (rot hinterlegte Fläche in der WDF)
d) Die Wahrscheinlichkeit, dass die wertkontinuierliche Zufallsgröße Y im Bereich von –ε bis +ε liegt, kann mit der angegebenen Gleichung wie folgt berechnet werden:
$${\rm Pr}(-\varepsilon \le Y \le +\varepsilon) = F_Y(+\varepsilon) - F_Y(-\varepsilon) \hspace{0.05cm}.$$
Berücksichtigt wurde, dass man bei der kontinuierlichen Zufallsgröße Y das „<”–Zeichen ohne Verfälschung durch das „≤”–Zeichen ersetzen kann. Mit dem Grenzübergang ε → 0 ergibt sich die gesuchte Wahrscheinlichkeit: $${\rm Pr}(Y = 0) \hspace{-0.15cm} = \hspace{-0.15cm} \ lim_{\varepsilon\hspace{0.05cm}\rightarrow\hspace{0.05cm}0}\hspace{0.1cm}{\rm Pr}(-\varepsilon \le Y \le +\varepsilon) = \lim_{\varepsilon\hspace{0.05cm}\rightarrow\hspace{0.05cm}0}\hspace{0.1cm} F_Y(+\varepsilon) - \lim_{\varepsilon\hspace{0.05cm}\rightarrow\hspace{0.05cm}0}\hspace{0.1cm} F_Y(-\varepsilon)$$ $$=\ \hspace{-0.15cm} F_Y(y \hspace{0.05cm}\rightarrow\hspace{0.05cm}0^{+}) - F_Y(y \hspace{0.05cm}\rightarrow\hspace{0.05cm}0^{-})\hspace{0.05cm}.$$
Da bei einer kontinuierlichen Zufallsgröße die beiden Grenzwerte gleich sind, gilt Pr(Y = 0) = 0.
Allgemein gilt: Die Wahrscheinlichkeit Pr(Y = y0), dass eine wertkontinuierliche Zufallsgröße Y einen festen Wert y0 annimmt, ist stets 0.
e) Richtig ist der Lösungsvorschlag 2: Aufgrund der vorliegenden WDF kann das Ergebnis Y = 3 ausgeschlossen werden. Das Ergebnis Y = 0 ist dagegen durchaus möglich, obwohl Pr(Y = 0) = 0 ist. Führt man zum Beispiel ein Zufallsexperiment N → ∞ mal durch und erhält dabei N0 mal das Ergebnis Y = 0, so gilt bei endlichem N0 nach der klassischen Definition: $${\rm Pr}(Y = 0) = \lim_{N\hspace{0.05cm}\rightarrow\hspace{0.05cm}\infty}\hspace{0.1cm}{N_0}/{N} = 0\hspace{0.05cm}.$$
f) Wir gehen wieder von der Gleichung Pr(A ≤ Y ≤ B) = FY(B) – FY(A) aus. Mit A = 0 und B → ∞ (bzw. B = 2) erhält man: $${\rm Pr}( Y > 0) = {\rm Pr}(0 \le Y \le \infty) = {\rm Pr}(0 \le Y \le 2) = F_Y(2) - F_Y(0) \hspace{0.15cm}\underline {= 0.5}\hspace{0.05cm}.$$
Bei der symmetrischen kontinuierlichen Zufallsgröße Y ist erwartungsgemäß Pr(Y > 0) = 1/2. Obwohl auch die wertdiskrete Zufallsgröße X symmetrisch um x = 0 ist, wurde dagegen oben Pr(X > 0) = 0.3 ermittelt. Weiter erhält man mit A = –1 und B = +1 wegen FY(–1) = 1 – FY(+1):
$${\rm Pr}( |Y| \le 1) = {\rm Pr}(-1 \le Y \le +1) = F_Y(+1) - F_Y(-1) $$ $$\ = 2 \cdot F_Y(+1) -1 = 2 \cdot 0.909 -1 \hspace{0.15cm}\underline {= 0.818}. $$